Totenschleuse
du benimmst dich auf Sylt besser. Also fassen wir zusammen: Deine Lebenspartnerin hat weitläufige berufliche Kontakte zu einer Frau, die bei deinen Ermittlungen als Zeugin in Frage kommt. Das ist alles.«
»Du redest die Situation schön, weil du eine Story witterst«, sagte Malbek und wischte sich mit dem Handrücken den Bierschaum vom Mund.
»Wir waren schon immer ein gutes Team …«
»Das habe ich etwas anders in Erinnerung.« Malbek sah Jette interessiert zu, wie sie sich jeden Finger einzeln mit der Serviette abwischte. »Weißt du, wie es wirtschaftlich um die Reederei bestellt ist?«
»Ich weiß nur von Molsens Haus auf Sylt, seinem Offroader und seinem Haus auf Teneriffa. Oder war es Korsika? Er zieht sich gut an, maßgeschneidert, ein bisschen zu konservativ.« Jette rührte mit einem Holzstab verträumt im Farbeimer. »Die beiden, das Ehepaar Molsen, das war früher das Traumpaar. Und dann dieser Unfall. Ein Jahr soll er sich in seiner Wohnung in Holtenau verkrochen haben, kein Sylt, kein Teneriffa. Nein. Nur Kiel-Holtenau.«
»Ein Jahr lang? Mein Gott, wenn ich mir vorstelle, dass er Tag und Nacht am Fenster steht und auf die Schleusen starrt. Da muss man doch rammdösig werden«, sagte Malbek.
»Nein, das ist eine Filmszene«, schwärmte sie. »Er trauert um seine große Liebe und sieht auf seine Schiffe, die die großen Weltmeere befahren. Die Augen von Omar Sharif. Voller unerfüllbarer Sehnsüchte ist er am Tor zu den Weltmeeren in der Höhle seiner Trauer gefangen.«
»Molsens Schiffe befahren nur die Ost- und Nordsee.«
»Na und? Axel Molsen ist nicht nur was für die Klatschspalte, sondern er ist richtig was fürs Herz, etwas für die Titelseite, man muss einfach Mitleid mit ihm haben«, sagte Jette beschwörend, indem sie mit dem Holzstab in der Luft herumfuchtelte. Malbek duckte sich vor den Farbspritzern. »So viele Schicksalsschläge! Beim nächsten ist er auf der Titelseite, wetten?«
»Und was für ein Schicksalsschlag könnte das deiner Meinung nach sein?«, fragte Malbek.
»Schäm dich. Wünschst du ihm Böses? Er ist doch ein sympathischer Mensch, oder? Du hast ihn doch heute kennengelernt.«
»Wo ist er verwundbar?«
»Du bist doch hier der Profi!«
»Und du nicht?«
Plötzlich versickerte ihr Gespräch, übrig blieb ein ausgetrockneter Bach, in dem sie herumstocherten, indem sie Bemerkungen zur Farbe an den Wänden oder der Wetterlage oder den Nachbarn machten. War es die Enttäuschung, den ganzen Abend über nichts miteinander gesprochen zu haben, was sie wirklich anging? Seine Fragen zu dem Streit im Büro, dem Moment, in dem ihm, wie so oft, unvermutet Aggression entgegenschlug, ohne dass er hätte sagen können, woran es lag, hatte er verschluckt und dem Gespräch eine andere, unverbindliche Wendung gegeben. Hatte seine Partnerin ausgefragt und ihr gleichzeitig häppchenweise und unschuldig Informationen gegeben, die sie in ihrem Job verwerten konnte. War das nicht schäbig?
Er verabschiedete sich von Jette mit einem flüchtigen Wangenkuss und verschwand in seinem Wohnmobil auf dem Grundstück nebenan.
Als sie eine Stunde später an seine Tür kratzte und miaute, dass sie wegen der frischen Farbe im Haus nicht schlafen könne, ließ er sie herein. Er fand sich dabei kein bisschen schäbig.
7.
Malbek entschied, dass Kommissarin Hoyer in Kiel bleiben und die Befragung des Personalchefs übernehmen sollte. Eine Frau an Bord, noch dazu eine Polizistin, die auch noch Kommissarin war, würde Verwirrung stiften. Wenn er die Blicke von Vehrs und Harder richtig deutete, hatte er schon wieder etwas verkehrt gemacht.
Die Mannschaft der »Christian Molsen« bestand aus elf Männern. Der Kapitän, der leitende Ingenieur und ein auszubildender Schiffsmechaniker waren Deutsche. Erster und Zweiter Offizier sowie der Zweite Ingenieur waren Russen. Die restliche Mannschaft, Dritter Offizier, der Koch, der Bootsmann, drei Matrosen und der Maschinist, waren Filipinos.
Axel Molsen hatte nach Rücksprache mit Malbek seiner Schiffsagentur Freunde angekündigt, denen er wegen einer verlorenen Wette eine Kanalpassage auf einem seiner Schiffe spendieren müsse. So sollten Absprachen innerhalb der Mannschaft so weit wie möglich vermieden werden.
Der junge Schiffsagent von der United Channel Agency spielte den Überraschten und lächelte verschwörerisch, als Malbek seinen Dienstausweis zückte. Irgendjemand hatte also geplaudert, vielleicht sogar Molsen. Sie hatten am
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