Totenruhe

können. Du sagst mir immer die Wahrheit, und ich muss …« Auf einmal
hob sie den Blick und sah ihren Mann auf sie zukommen. »Oh, verdammt, da kommt Todd.«
    »Gehst du schon, Jack?«, fragte Todd hoffnungsvoll.
    »Nein, ich hole nur mein Feuerzeug aus der Manteltasche.«
    »Oh … also, entschuldige uns bitte, aber einige Leute warten darauf, mit Kathleen sprechen zu können.«
    Katy beugte sich zu Jack, gab ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte ein weiteres Mal »Später«, ehe sie sich von Todd davonführen ließ.
    Trotzdem hatte sie seither keinen Versuch mehr unternommen, in seine Nähe zu gelangen.
     
    Corrigan betrank sich wie immer, doch wusste er, dass er heute Abend eine besonders jämmerliche Sorte von Trinker abgab. »Selbstmitleid ist ein übler Absacker«, sagte er laut.
    »Was?«, plärrte die Blondine verständnislos zurück.
    »Nichts.« Er schnappte sich zwei Martinis vom Tablett eines vorbeikommenden Kellners und reichte einen der Blondine. Sie lächelte. Er glaubte, dass sie Danke gesagt hatte.
    Er wandte den Blick von der Blondine ab, musterte die Anwesenden und fragte sich, ob er Lillian oder Katy wohl noch einmal zu Gesicht bekommen würde. Unwahrscheinlich, angesichts des Menschengewimmels zwischen seinem Platz und der Stelle, wo Lillian und ihre Tochter Hof hielten. Das Problem bei einer Januar-Party war, dass es in den meisten Jahren draußen auf der Veranda zu kalt war und so der Platz kaum zum Atmen für alle reichte. Er kippte den Martini hinunter und hielt Ausschau nach dem nächsten Kellner.
    Niemals, solange er lebte, würde er die Reichen verstehen. Warum hatte Katy gewollt, dass er kam? Zweifellos eine Laune von ihr. Sie war eine kleine Unruhestifterin, die gute Katy. Kathleen. Er war einer der wenigen, die sie gelegentlich Katy nannten. Lächelnd musste er daran denken, wie sie das auf die Palme brachte. Er war selbst eine Art Unruhestifter.

    Er dachte an das geflüsterte »Später« und einen Blick, den er in ihren Augen gesehen zu haben glaubte, kurz bevor Todd der Kotzbrocken sie von ihm weggeführt hatte. Er fragte sich, warum das Geburtstagskind, das normalerweise so fröhlich und lebhaft war, heute den größten Teil des Abends über unglücklich dreinblickte. Doch das würde er herausfinden. Neugier war sein Gewohnheitslaster und eine notwendige Voraussetzung für seinen Beruf als Reporter.
    Die meisten von Katys Freunden hätten nicht geglaubt, dass irgendetwas im Argen lag. Sie hatte ihr Lächeln nicht verloren, und wie gewohnt schwänzelte eine Schar Bewunderer um sie herum. Doch die kannten sie eben nicht so gut wie Jack.
    Nach einer Weile wurde klar, dass der Kotzbrocken aufpasste und Jack regelmäßig von Katy wegmanövrierte, wenn er ihr nahe kam. Der Kotzbrocken umsorgte sie heute Abend praktisch ununterbrochen - er zündete ihr Zigaretten an, sorgte dafür, dass ihre halb leeren Martinigläser gegen volle ausgetauscht wurden, und fütterte ihren Hund mit Häppchen. Jack beschloss, einfach abzuwarten und Lillians und Harolds teure Alkoholika zu konsumieren, bis er ihrem Schwiegersohn ein Schnippchen schlagen konnte.
    Einer der aufmerksamen Dienstboten schlug sich zu Corrigan durch, nahm ihm das leere Glas ab und gab ihm ein volles.
    Die Party war ein Erfolg, wenn man sie an Kriterien maß wie der mangelnden Bewegungsfreiheit, den brüllenden Lachsalven und der Rauchwolke, die dick in der Luft hing. Jack fragte sich, was Lillian wohl wirklich von der Feier hielt. Er staunte über die Ungeschliffenheit mancher Gestalten, die er heute Abend hier sah. Vermutlich Freunde von Todd. Harold war es sicherlich zuwider, derartiges Gesindel die italienischen Marmorböden der Linworths betreten zu sehen. Nicht, dass alle Freunde und Bekannten der Linworths untadelig gewesen wären.
    Die Blondine unterbrach seine Grübelei, indem sie ihm eine
Hand auf den Schenkel legte. Kaum einen Moment später spürte er eine Hand an seinem Kragen, die ihn brutal nach hinten riss und ihm die Luft abschnitt, ehe sie ihn auf seine wackligen Beine zerrte. Ein großer blonder Mann mit Bürstenschnitt brüllte etwas von wegen, er solle die Pfoten von seiner Frau lassen, und bevor Jack auch nur eine Hand zur Faust ballen konnte, hatte der Riese ihm schon einen Schlag verpasst, der ihm das Bewusstsein nahm.
    Corrigan spürte den Wind und die kalte Erde unter sich und gelangte in eine Art Wachzustand. Er war erneut ohnmächtig geworden. Für wie lange? Langsam rollte er sich auf den Bauch,