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Totenruhe

Titel: Totenruhe
Autoren: Jan Burke
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unheimlich. Seine Kinder hatten ihn vor ein paar Jahren dazu überredet, mit ihnen ins Kino zu gehen und sich diesen Monsterfilm anzuschauen, Der Schrecken vom Amazonas . Noch dazu hatten sie ihn in 3-D gesehen, wovon er Kopfweh bekam, aber er war wirklich ziemlich realistisch. Für einen Mann, der regelmäßig in der Finsternis an einem Sumpf vorbeifahren musste, war es allerdings kein geeigneter Film gewesen.
    Durch den Kaffee fühlte er sich ein bisschen stabiler. Er würde seinen Becher austrinken und an der Kreuzung auf einen etwas breiteren Feldweg abbiegen, der ihn schließlich auf eine asphaltierte Straße führen würde, die wiederum in den Pacific Coast Highway mündete. Vom Highway aus würde er in die Innenstadt fahren und das Angelus und die anderen Hotels ansteuern, die auf seine Lieferung warteten.
    Er hörte ein Plätschern und blickte nach rechts. Zuerst dachte er, es sei ein großer Seevogel gewesen, der durchs Wasser gerauscht war, ein Reiher vielleicht. Doch dann kam das Geräusch noch einmal. Gefolgt von unverkennbarem Husten. Daraufhin ein Geräusch wie Würgen, schließlich ein Stöhnen.
    »Gütiger Gott«, stieß Ezra hervor, als eine dunkle Gestalt aus dem Morast gekrochen kam. Er legte einen Gang ein und fuhr los. Der Kaffee lief auf den Boden, als er in seiner Eile die Kappe der Thermosflasche hinunterwarf.
    Er erreichte die asphaltierte Straße, ehe sein Gewissen die Oberhand über seine Panik gewann. Er war ein gottesfürchtiger Mann, der die Bibel las und die Geschichte vom barmherzigen Samariter ebenso gut kannte wie jeder andere. Die Sümpfe von Las Piernas waren nicht der Amazonas. Und die Gestalt war ein Mensch gewesen. Ein Mann, der höchstwahrscheinlich in Schwierigkeiten steckte. Ezra wendete.
    Sorgfältig manövrierte er den Lieferwagen so, dass die
Scheinwerfer die Stelle beleuchteten, wo er das Geräusch vernommen hatte. Sofort entdeckte er die Gestalt, die er zuvor gesehen hatte. Mit dem Gesicht nach unten lag der Mann jetzt da, nicht einmal ganz aus dem Wasser heraus. Und voller Schlamm.
    Ezra stieg aus dem Fahrerhaus, eine Taschenlampe fest in der Hand. Er war im Allgemeinen ein friedliebender Mann, aber barmherziger Samariter hin oder her, man musste eben vorsichtig sein. Was hatte jemand überhaupt mitten in der Nacht hier draußen zu suchen? Was, wenn der Kerl betrunken und streitlustig war? Bei Betrunkenen wusste man ja nie.
    Doch als er näher kam, sah er, dass der Mann zitterte wie Espenlaub. Ezras Misstrauen schwand. Der Mann zitterte nicht nur, nein, er hatte einen ganz entsetzlichen Schüttelfrost.
    »Hey!«, rief Ezra. »Hey, alles in Ordnung?«
    Der Mann hob halb den Kopf und blickte Ezra an, obwohl Ezra nicht sicher war, ob er ihn wirklich sah. Das Gesicht des Mannes bot einen schrecklichen Anblick, ganz blutig und verzerrt und das eine Auge komplett zugeschwollen. Das andere Auge war offen, und Ezra sah, dass es blau war. Der Mann stöhnte und ließ den Kopf wieder sinken. Das Zittern hielt an.
    Ezra trat näher heran. Er hatte noch nie jemanden gesehen, der dermaßen brutal zusammengeschlagen worden war.
    Ezra zog ihn aus dem Wasser und wollte ihn auf die Beine stellen, ehe er merkte, dass der Mann das Bewusstsein verloren hatte. Er versuchte, ihn wachzurütteln, doch es war vergeblich. Die Haut des Mannes war so eisig, dass Ezra schon fürchtete, er sei nicht nur ohnmächtig geworden, sondern gestorben. Er hob ihn an, wobei der Mann ein Wimmern ausstieß, das Ezra durch und durch ging. Er hatte das seltsame Gefühl, dass dem Mann solche Laute im Grunde wesensfremd waren.
    Da der Bewusstlose größer war als er, war es für Ezra schwierig, das Gleichgewicht zu halten, als er den anderen
halb tragend, halb zerrend zum Lieferwagen schleppte. Schon bald war Ezra fast genauso feucht von Moorwasser wie der andere. Er bugsierte ihn auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. Der Mann war jetzt vollkommen still.
    Er würde ihn ins St. Mary’s bringen, beschloss Ezra. Dann käme er zwar zu spät zu seinen Lieferungen, aber das bekümmerte ihn nicht allzu sehr. Mit etwas Glück würden die Hotels nicht aufhören, ihm Eier abzukaufen, wenn er ihnen erzählte, dass er hatte anhalten müssen, um einem Mann das Leben zu retten.
    Das hieß, so fügte er im Stillen hinzu, als er die gegen die Tür gesackte Gestalt musterte, falls er dazu überhaupt noch rechtzeitig gekommen war.

3
    Während sie in dem türkis-weißen Chevy Bel-Air dahinfuhren, merkte Betty Bradford, dass
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