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Totenruhe

Titel: Totenruhe
Autoren: Jan Burke
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sie Lew Hacker mochte, dass sie ihn sogar sehr mochte. Er sah zwar nicht besonders gut aus, aber sie mochte ihn trotzdem. Es gefiel ihr, dass er ruhig und gelassen war und einem Mädchen nicht massenhaft dumme Fragen darüber stellte, ob sie eine echte Blondine war oder wie sie auf die schiefe Bahn geraten war, oder ob er mal gratis randurfte.
    Lew sprach sie nie auf irgendwas in der Richtung an, obwohl sie wusste, dass er genauso aus Fleisch und Blut war wie jeder andere Mann. Herrgott, er hatte sogar gerade jetzt einen Steifen. Den hatte er noch nicht gehabt, bevor sie die Schuhe ausgezogen hatte. Sie drehte sich auf dem Beifahrersitz zur Seite und zog die Knie an, sodass ihre Füße zwischen ihnen auf dem Sitz waren und ihr Rock ein Zelt über ihren Beinen bildete. Aber die Zeltstange hatte er …
    Sie zog ein Päckchen Black-Jack-Kaugummi aus der Tasche
und fragte ihn, ob er Lust auf was Süßes hätte. Er lachte ein bisschen, weil er den Scherz verstanden hatte, was ihn ihr noch sympathischer machte. Er sagte, Black Jack hätte er schon immer gemocht, sogar als er noch unter einundzwanzig war, was wiederum ein Scherz war, den sie sofort begriff, wodurch sie sich gut fühlte, stolz auf sich selbst.
    »Wir fahren nicht zur Hütte, oder, Lew?«
    »Nein.«
    »Du verzichtest also auf den Haufen Moos, den wir angeblich kriegen sollen?«
    »Angeblich«, wiederholte er, ehe er kurz darauf hinzufügte: »Gus’ Laune hat mir überhaupt nicht gefallen.«
    »Ganz deiner Meinung«, sagte Betty. »Was hast du schon von dem ganzen Moos, wenn du den Löffel abgegeben hast?«
    »Genau.«
    »Sie haben uns nicht alles gesagt, was heute Nacht abgelaufen ist, oder?«
    »Nein.«
    »Ich meine, okay, irgendwer hat’ne Abreibung gekriegt, das ist das eine. Weißt du, was Gus getrieben hat, während wir mit dem Kerl da auf der Party beschäftigt waren?«
    »Nein, aber ich kann’s mir denken.«
    Sie überlegte kurz, ehe sie sagte: »Ich bleibe bei dir, wenn’s dir recht ist.«
    »Das ist mir mehr als recht. Du bist ein kluges Mädchen.«
    Das hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Nicht ein einziges Mal. Aber es stimmte. Vielleicht war sie nicht Albert Einstein - okay, sie würde ja selbst als Erste zugeben, dass sie in der Schule keine große Leuchte gewesen war. Trotzdem konnte sie selbstständig denken, und sie kannte Gus lang genug, um eine Ahnung davon zu haben, wann er gefährlich wurde. Das war das Erste, was man über einen anderen rausfinden musste, vor allem in ihrer Branche.
    Es war nicht immer leicht. Der Boss hatte mehr als nur ein
paar Gestörte in seiner Mannschaft, darunter einige, die schlimmer waren als Gus. Sie musste an den einen denken, der nicht mehr für ihn arbeitete - Bennie Lee Harmon. Der war nämlich nach San Quentin geschickt und zum Tode verurteilt worden, weil er zwei junge Arbeiterinnen gefoltert und getötet hatte. Die armen Mädchen waren gerade mal ein oder zwei Jahre jünger gewesen als sie. Ihr schauderte. Nie hätte sie das von Bennie gedacht. Er sah gut aus und wirkte sogar eher unterwürfig.
    Einer von den Jungs hatte gesagt, dass Gus selbst vor nicht allzu langer Zeit ausgerastet sei und drunten in Nigger Slough, westlich der Stadt, ein junges Mädchen abgestochen hätte. Einer von den anderen hatte dagegen behauptet, es sei schon vor langer Zeit passiert und ganz woanders. Bis heute Nacht war sie nicht einmal davon überzeugt gewesen, dass es überhaupt geschehen war. In der Zeitung hatte nichts darüber gestanden, aber da schrieben sie ja nie viel über Sachen, die den Schwarzen passierten, erst recht nicht, wenn es den runtergekommenen Haufen drunten in Slough betraf. Aber ein weißes Mädchen umzubringen! Bis heute Nacht hätte sie nicht gedacht, dass Gus zu so etwas imstande wäre.
    Sie hatte erkannt, dass Gus heute Nacht in einer gefährlichen Stimmung war, und das war er sogar schon gewesen, ehe Bo zu ihm hineingegangen war und mit ihm geredet hatte.
    Bo. Also, der war ein nettes, großes Dummerchen. Während er mit Gus geredet hatte, war sie ins Badezimmer gegangen und hatte dort zufällig etwas erspäht, von dem sie bei Gott wünschte, es nie gesehen zu haben: einen Wäschekorb mit mehreren blutigen Kleidungsstücken. Sie sagte sich, dass Gus etwas so Offensichtliches niemals, nicht in tausend Jahren, einfach so herumliegen lassen würde, dass es jemand anders sehen konnte. Die Sachen hätten nie dort gelegen, wenn sie ihn nicht durch ihr frühes Wiederkommen überrascht hätten. Und so
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