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Dürre Beweise

Dürre Beweise

Titel: Dürre Beweise
Autoren: Manfred Rebhandl
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    Eine sehr gesunde Winterdepression hatte mich an den Eiern gepackt und ließ mich nicht mehr los, wie eine schwere Decke lag sie auf mir, aber neben der Decke stand auch eine Flasche Russenschnaps. Daraus nahm ich jetzt einen morgendlich kräftigen Schluck, spülte mir damit die Zähne, spuckte den ganzen Dreck in den Napf, und den nächsten Schluck trank ich.
    Mit dem übernächsten hatte ich dann schon wieder fast vergessen, wie lange ich nun nicht mehr aus den Federn gestiegen war, aber das ist schließlich auch das Ziel des Trinkens – zu vergessen! Also drehte ich mich noch einmal auf die Seite, steckte eine Hand in die graue Wohlfühlhose und fiel wieder in einen verlängerten leichten Schlummer. Draußen war es finster und kalt, und bald wusste ich nicht mehr, ob es schon wieder finster war oder noch immer kalt, aber das war egal. Ich hatte sowieso nicht vor, in den nächsten Monaten mein Bett zu verlassen, denn Schnee mit Kalt machte mich jedes Jahr ganz bettlägrig. Zwar dauerte es immer ein Weilchen, bis ich mich endlich daran gewöhnt hatte, überhaupt nichts mehr zu tun, aber seit ein paar Tagen flutschte es wieder so richtig, und mein Körper benötigte jetzt nur mehr das Nötigste: hin und wieder einen guten Joint für die Tiefenentspannung, vor dem Bett einen Fernseher für die Nachmittagssendungen, im Bett eine Fernbedienung für den Fernseher und neben dem Bett reichlich Schnaps. Dazu ein guter Pizza-Service und vielleicht eine Rolle Klopapier zum Aufwischen, wenn ich mal was verschüttete oder mir die Nase rotzte, das war’s. Ein wesentlicher Vorteil meines insgesamt sonnigen Gemütes war ja, dass mir auch während eines langen, dunklen Winters nicht langweilig wurde, dann schlief ich einfach, bis es richtig wehtat, oder verzog mich mit dem Schnaps und einer Pizza wie ein grummeliger Bär zu einem verdreckten Fenster meiner Bude, wo dann draußen der Tag an mir vorüberziehen konnte, ohne dass herinnen irgendetwas passierte, und wir dann beide irgendwann genug voneinander hatten, der Scheiß-Tag von mir und ich vom Scheiß-Tag. Insgesamt gibt es ja wenig im Leben, das besser ist als Schlafen, und manchmal fragte ich mich sogar, warum das so ist. Aber eine Antwort darauf blieb ich mir jedes Mal schuldig, weil ich dann meistens schon wieder eingeschlafen war, bevor mir etwas dazu einfiel.
    ***
    Das penetrante Läuten meiner Schelle nahm ich daher fast persönlich, ich drückte auf Grün und sagte: „Superschnüffler Rock Rockenschaub löst auf alle Fälle alle Fälle, was zum Teufel kann ich um diese finstere Jahreszeit für Sie tun?“
    „Ich bin’s, Ku.“
    Es war Kubelka, der Gehirnschlosser. Ich kannte ihn aus Dirty Willi’s Swedish Pornhouse, wo er immer in Reihe 19 saß und sich Psychoporno-Klassiker wie Sigmund auf der Couch oder Feuchte Traumanalyse anschaute und dabei in der Nase bohrte und Fingernägel kaute, in dieser Reihenfolge.
    Als ich den Spinner das erste Mal gesehen hatte, hatte er mich noch an einen russischen Wanderprediger zu Zeiten des Zaren erinnert, langer Bart, rundes Brillengestell, dazu durchgesessene Hosen und ein Cordsakko mit Ärmelschonern, auf das die Schuppen seiner fettigen Haare fielen, und unter dem Sakko trug er stinkende Hemden, die einen blind werden ließen, und Krawatten, an denen man ihn aufhängen wollte. Zu Dirty Willi sagte er einmal, dass er absichtlich so aussehen wollte wie sein großes Vorbild Sigmund Freud, den aber niemand von uns kannte, wir alle kannten und liebten Jack Schleck mit seinen Filmen wie Jack schleckt sich durch , der war ein anderes Kaliber.
    Heute aber war Ku einer der gefragtesten Therapeuten in dieser Stadt, der wirklich alles über das weite Land der Seele wusste, und die eine berühmte Frage, die ich wie keine andere hasste, kam ihm wie nichts über die Lippen: „Rock, wie geht’s dir denn?“
    Ich sagte: „Lass mich in Ruhe, ich bin depressiv!“
    „Das bist du nicht, du bist nur faul.“
    „Aber depressiv klingt besser!“
    Nachdem wir dieses schwarzgallige Thema durchhatten, fragte er: „Sag mal, kennst du Rockin’ Ronnies Texas Tabledance?“
    Ich fragte: „Die Nacktbar?“
    Sofort war ich eine Spur weniger depressiv, denn Nacktbars reizten mich beinahe noch mehr als Schlafen. Tatsächlich kannte ich den Laden vom sinnlos Herumfahren, er lag ganz weit oben am Gürtel, schon im 19. Bezirk und nahe bei den Schauspielern und Opernsängern, also eine Spur zu weit aus meinem Schussfeld, als dass ich ihn in meine
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