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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition)
Autoren: Todd Ritter
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jetzt, auch dann, wenn du noch nackt bist.»
    Zwei Sekunden später stürmte ihr Sohn in die Küche. Er trug Jeans, ein Phillis-T-Shirt und Sneakers. Die Sachen waren neu. Und teuer. Anfangs hatte Kat nicht einsehen wollen, dass für das neue Schuljahr auch neue Schulkleider nötig waren, aber James hatte ihr ständig damit in den Ohren gelegen, wie wichtig es sei, so auszusehen wie die anderen. Ein unschlagbares Argument, wie Maggie sich eingestehen musste. James kam in die fünfte Klasse, ein heikles Jahr für jedes Kind, insbesondere für eines mit Down-Syndrom. Aber er war ein cleveres Kerlchen, konnte mit den anderen in seiner Klasse mithalten und hatte die Grundschule geschafft, ohne groß gehänselt worden zu sein. Damit es so blieb, war Kat schließlich einverstanden gewesen, neue Anziehsachen zu kaufen. Und Sneakers. Und einen Rucksack, obwohl der alte noch tadellos in Schuss war.
    Das einzige Überbleibsel war seine Lunchbox in der Form eines jener Flitzer aus dem Disney-Film Cars . Maggie wunderte sich, dass James nicht auch, was die Box betraf, auf modische Neuerung gedrängt hatte, und war froh, immerhin ein paar Dollars gespart zu haben.
    Doch als sie ihm den guten alten Lightning McQueen reichte, in dem sein Schulbrot steckte, schaute er sie an, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen.
    «Was ist das?»
    «Dein Mittagessen.»
    James verzog das Gesicht. «Solche albernen Dosen sind nichts für einen Fünftklässler.»
    «Das ist mir neu. Wie dem auch sei, wir haben jetzt nicht die Zeit, darüber zu verhandeln.»
    «Damit sehe ich doch blöd aus», protestierte James und warf den Rucksack über die Schulter.
    «Letztes Jahr hast du nicht blöd damit ausgesehen.»
    «Aber da war ich ja auch noch in der vierten Klasse. Für die vierte Klasse war sie cool.»
    «Morgen wirst du auch wieder cool sein.» Kat reichte ihm seinen Bagel und schob ihren Sohn zur Hoftür. «Aber für heute gilt: entweder Lunchbox oder überhaupt kein Lunch.»
    James seufzte theatralisch, wie immer, wenn er demonstrieren wollte, dass er im Recht war und sie falschlag. Und sooft sie ihn seufzen hörte, fühlte sie sich voller Wehmut an die Zeiten erinnert, da ihr Junge noch alles an ihr toll fand.
    Als James in den Hof hinaustrat, griff sie zum Schlüsselbord an der Wand hinter der Tür. An einem Haken hing der Schlüssel ihres Dienstwagens, an einem anderen der Holster. Sie nahm beides, steckte den Schlüssel in die Tasche und schlang den Holster um die Taille. Ihre Glock steckte in einem kleinen, in die Wand eingelassenen Tresor unter dem Schlüsselbord. Sie holte die Waffe heraus, vergewisserte sich, dass sie gesichert war, und steckte sie in den Holster. Dann schnappte sie sich ihren Bagel und die Thermosflasche und verließ das Haus.
    Während der Fahrt zur Schule kam James zwar nicht mehr auf die Lunchbox zu sprechen, aber gewiss dachte er daran. Er starrte die ganze Zeit mit düsterer Miene zum Fenster hinaus und war, wie Kat spürte, ziemlich nervös und beklommen. Verständlich. Auch Kat war nervös. Sie erinnerte sich an ihren Wechsel in die fünfte Klasse und daran, wie groß die Umstellung gewesen war. Genau wie der Übergang in die sechste Klasse und dann in die Junior Highschool, wo sich eine völlig neue Welt für sie aufgetan hatte, eine Welt voller Cliquen, Leistungsdruck und kleinen Gemeinheiten.
    «Mach dir keine Sorgen, kleiner Bär», sagte sie, als sie sich der Schule näherten. «Morgen packen wir deinen Lunch in eine braune Tüte.»
    James schaute von der Lunchbox zu ihr auf. «Ehrenwort?»
    «Ehrenwort.»

    Nachdem sie ihm ein Küsschen auf die Wange gedrückt hatte, das er schnell wegwischte, machte sich Kat auf den Weg zur Arbeit. Das Polizeirevier von Perry Hollow lag nur ein paar Straßenzüge südöstlich der Schule, aber anstatt die Abkürzung zu nehmen, wählte sie den weiteren Weg über die Main Street, an der sich auf beiden Seiten kleine altmodische Geschäfte und Restaurants aneinanderreihten.
    Diese Läden bildeten nun das Herz von Perry Hollow, dem Städtchen, das nach einem inzwischen stillgelegten Sägewerk benannt war. Zu ihrem Job als Police Chief gehörte es, darauf zu achten, dass dieses Herz in gleichmäßigem Takt schlug. Wenn Big Joe’s , das Café an der Hauptstraße, einmal ohne ersichtlichen Grund geschlossen wäre, würde das heißen, dass möglicherweise etwas mit der betagten Eigentümerin Ellen Faye nicht stimmte, und Kat müsste nach dem Rechten sehen. Und sooft sie an Awesome
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