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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition)
Autoren: Todd Ritter
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Glenn hatte davon nichts wissen wollen. Als er die Tür öffnete und sieben applaudierende Personen vor sich sah (siebeneinhalb, wenn man Maggies ungeborenes Kind mit rechnete), erschrak er regelrecht und zuckte zurück wie ein Kaninchen vor einem Rudel Wölfe. Er war zwar nicht unhöflich, verweigerte ihnen aber den Zutritt und lehnte den Kuchen ab, den Maggie ihm aufzudrängen versuchte und schließlich in der Hoffnung, dass er ihn später ins Haus holen würde, auf der Veranda abstellte. Dann waren die ungeladenen Gäste wieder gegangen. Sie hatten begriffen: Glenn wollte in Ruhe gelassen werden.
    Jetzt aber konnte Maggie ihn nicht in Ruhe lassen. Nicht bevor sie erfahren hatte, ob er Charlie gesehen hatte. Also klopfte sie wieder an, mit der Faust diesmal.
    «Mr. Stewart? Hier ist Maggie Olmstead von nebenan.»
    Frustriert ließ sie den Kopf hängen und bemerkte etwas auf der Veranda, nur einen Schritt weit entfernt. Es war der Kuchen, geplündert von Vögeln, Käfern und vier Jahreszeiten. Er stand immer noch dort, wo sie ihn vor einem Jahr abgesetzt hatte.

    Als Maggie Glenn Stewarts Haus den Rücken kehrte, sah sie zwei Streifenwagen am Ende der Sackgasse stehen, dort, wo der Asphaltbelag endete und der Fußweg in den Wald anfing. Zwei Lichtstrahlen huschten durch die Dunkelheit. Offenbar suchte man mit Taschenlampen nach ihrem Sohn.
    Eines der Lichter hielt plötzlich inne. Aus dem Wald rief eine Stimme.
    «Ich glaube, ich habe da was!»
    Das zweite Licht richtete sich auf das erste. Auch Maggie setzte sich in Bewegung und rannte auf den Wald zu. Die Steine unter den Füßen oder den ins Gesicht prasselnden Regen spürte sie nicht mehr. Sie spürte nur das zappelnde Baby in den Armen und einen Knoten von Angst, der sich im ganzen Körper ausdehnte.
    Alle ihre anderen Sinne waren aufs äußerste geschärft. Selbst im Dunkel zwischen den Bäumen ließ ihr Sehvermögen nicht nach. Die Gerüche von feuchter Erde, Moosen und Ahornsaft stiegen ihr in die Nase. Die Schritte im Unterholz und das Gemurmel von Stimmen summten ihr in den Ohren.
    Schließlich erreichte sie den Fluss. Sie sah die Wellen schimmern, roch den Uferschlamm und hörte die herabstürzenden Fluten der Sunset Falls.
    Zwei Männer standen auf der Brücke über dem Wasserlauf. Der eine war Deputy Owen Peale, dessen Gesicht unter der Kapuze seines Regencapes verschwand. Der andere war Police Chief Jim Campbell. Er schützte sich mit einem breitkrempigen Hut gegen den Regen. Beide schreckten auf, als sie Maggie erblickten.
    «Sie wären besser zu Hause geblieben, Maggie», sagte Jim.
    «Haben Sie Charlie gefunden?»
    Er versuchte, sie vom Wasserlauf abzuwenden. «Was machen Sie hier mit dem Baby im Arm? Sie sind ja völlig durchnässt?»
    Maggie reckte den Hals und warf einen Blick über die Schulter des Chiefs. Hinter ihm hielt Deputy Peale seine Taschenlampe auf eine Stelle im Fluss gerichtet.
    «Haben Sie Charlie?», fragte sie. «Ist alles in Ordnung mit ihm?»
    «Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause», entgegnete Chief Campbell. Seine Stimme verriet, was Maggie wissen wollte. Sie klang allzu jovial, fast herablassend. Irgendetwas stimmte nicht.
    Das Baby in ihren Armen wand sich heftiger als zuvor. Und plötzlich stieß es einen Schrei aus, der so laut und angsterfüllt war wie der, der Maggie geweckt hatte.
    «Wie wär’s, wenn Sie mir das Kind geben würden? Ich bin weniger nass», sagte Jim.
    Als er mit ausgestreckten Armen auf sie zukam, wich sie plötzlich zur Seite aus und hastete an ihm vorbei auf die Brücke. Der Regen hatte den Fluss über die Ufer treten lassen. In der starken Strömung trieb ein Ast, der für kurze Zeit von einem Felsbrocken aufgehalten, dann jedoch vom Wasser unaufhaltsam fortgespült wurde, über die Klippen hinweg, von denen der Fluss in die Tiefe stürzte.
    Maggie hörte Jim Campbell nach ihr rufen. Sie sah Owen Peale langsam auf sich zukommen. «Es ist alles okay, Mrs. Olmstead. Beruhigen Sie sich.»
    Sie schaute zurück auf die Stelle, wo der Ast im Dunkeln verschwunden war, folgte mit den Augen der Strömung in umgekehrter Richtung und blickte dann, dem Wasserfall den Rücken gekehrt, bergan. Der Fluss war reißend. Blätter, Zweige und Abfall strömten auf sie zu und verschwanden unter der Brücke. In einiger Entfernung ragten zwei Felsen wie Eisberge aus dem Wasser.
    Owen Peale stand jetzt neben ihr, hielt sie bei den Schultern und schüttelte den Kopf. «Schauen Sie nicht hin. Bitte nicht.»
    Erst jetzt
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