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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition)
Autoren: Todd Ritter
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entdeckte Maggie, was sie nicht sehen sollte: einen länglichen Gegenstand, der vor einem der beiden Felsen hing, halb überschwemmt von den Fluten und so dunkel, dass seine Farbe nicht zu erkennen war, wohl aber das Weiß einzelner sternförmiger Flecken.
    Maggie schrie.
    Es war Charlies Fahrrad. Im Wasser. Von den Wellen unterspült, wippte das Vorderrad auf und ab.
    Auch Jim Campbell war jetzt wieder auf der Brücke. Einer der beiden Polizisten – Maggie sah nicht, wer es war – nahm ihr den Säugling ab. Der andere versuchte, sie vom Geländer wegzuziehen. Maggie ließ es geschehen. Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich zu wehren. Als sie von der Brücke geführt wurde, warf sie einen letzten Blick auf den Fluss, obwohl sie wusste, dass sie ihn besser unterlassen hätte. Aber sie musste noch einmal hinsehen und sich vergewissern.
    Die Strömung hatte das Fahrrad in diesem Augenblick frei geschwemmt so wie zuvor den Ast. Es tauchte im Wasser unter, kam aber auf der anderen Seite der Brücke wieder zum Vorschein und trieb auf die Klippen zu. Dort richtete es sich kurz mit rotierendem Hinterrad auf, kippte vornüber und verschwand.

[zur Inhaltsübersicht]
    Mittwoch
    1
    Fünf Minuten.
    So viel Zeit hatte Kat Campbell, ehe sie wieder rausmusste. Fünf lausige Minuten, um Kaffee zu kochen, den Hund zu füttern, ihrem Sohn das Schulbrot einzupacken und zwei Bagels für unterwegs zu toasten. An guten Tagen schaffte sie all das in zehn Minuten. Aber es war kein guter Tag. Ganz und gar nicht.
    Der Kaffee sickerte so langsam durch den Filter, dass sich Kat wünschte, jemand würde möglichst bald eine schnelle Koffein-Infusionslösung erfinden. Einer der Bagel blieb im Toaster stecken und wurde kohlrabenschwarz. Den anderen erwartete ein ähnliches Schicksal. Das Lunchpaket für James bestand bislang nur aus zwei Scheiben Brot und einem Schokoladenpudding. Sein Beagle Scooby hatte die Hoffnung auf ein Frühstück offenbar schon verloren und kaute an einer leeren Toilettenpapierrolle, die er sich aus dem Abfallkorb im Badezimmer gefischt hatte.
    «James? Bist du so weit?»
    Kat konnte sich darauf verlassen, dass ihre Stimme laut genug war, um das Ohr ihres Sohnes im Schlafzimmer zu erreichen.
    «Eine Minute noch», brüllte James. Dass eine Kommodenschublade krachte, war kein gutes Zeichen.
    «Du kannst am ersten Schultag nicht zu spät kommen. Eine Minute haben wir nicht mehr.»
    In Wahrheit hatten sie noch drei, aber Kat war so mit seinem Lunchpaket beschäftigt, dass sie es nicht so genau nahm. Sie legte ein paar Scheiben vom kalten Braten aufs Brot, strich Senf darüber und packte das Sandwich in eine Zellophantüte, die sie zusammen mit dem Pudding, einem Müsliriegel und dem Milchgeld in die Lunchbox stopfte. Dann waren da noch die Bagels. Den einen befreite sie, mit dem Buttermesser stochernd, aus dem Toaster. Der andere blieb ungeröstet.
    Scooby hatte die zerkaute Papprolle inzwischen in seinen Fressnapf gelegt, wahrscheinlich um Kat ein schlechtes Gewissen zu machen, die ihm zur Wiedergutmachung eine Extraportion gönnte und die Wasserschale auffüllte.
    Inzwischen war der Kaffee durchgelaufen. Vorsichtig füllte sie die Hälfte der Kanne in eine Thermosflasche. Fertig, und noch eine Minute Zeit.
    Tief durchatmend warf sie einen Blick auf den kleinen Fernseher, der auf dem Küchentresen stand. Samstagmorgens, wenn sie frühstückten, schaute sich James gern Zeichentrickfilme an. An diesem Tag war CNN eingeschaltet. Ein nichtssagend gutaussehender Moderator verlas die Nachrichten.
    «Der Wettkampf um den Weltraum geht in eine neue Runde», sagte er. «Heute hat die chinesische Weltraumbehörde erfolgreich ihre erste bemannte Mondreise gestartet.»
    Auf dem Bildschirm war nun der chinesische Ministerpräsident zu sehen, der das Unternehmen kommentierte. Eine kurze Einspielung zeigte die startende Trägerrakete aus der Ferne: einen Elfenbeinturm, der in den Himmel wuchs. Darauf folgte ein Blick auf den Tiananmen-Platz, wo Tausende von Zuschauern jubelten.
    «Unter den Augen der ganzen Nation sind soeben drei chinesische Astronauten zum Mond aufgebrochen. Voraussichtlich werden sie am Freitagnachmittag ihr Ziel erreichen. Wenn die Mission glückt, wird China nach den USA das zweite Land sein, das sich den Erfolg einer Mondlandung auf die Fahnen schreiben kann. Die erste nach 1972.»
    Kat schaute auf ihre Uhr. Die fünf Minuten waren um. Sie schaltete den Fernseher aus und rief durchs Treppenhaus. «James, wir gehen
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