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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch
Autoren: Amanda Stevens
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Kindheitsmärchen gekommen. Ich konnte sein Gesicht nicht recht erkennen, aber ich wusste instinktiv, dass es attraktive und grüblerische Züge hatte. Wie er dort stand und wie er mich mit diesem fast schmerzlich stechenden Blick durch den Nebel ansah, das jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken.
    Er war kein Geist, aber dennoch war er gefährlich für mich und so unwiderstehlich, dass ich den Blick nicht von ihm losreißen konnte. Er kam näher, und jetzt konnte ich die Wassertropfen sehen, die auf seinem dunklen Haar glitzerten, und das Schimmern einer Silberkette unter dem Kragen seines dunklen Hemdes.
    Hinter ihm, durchscheinend und kaum zu unterscheiden von den Nebelschwaden, waren zwei Geister, der einer Frau und der eines kleinen Mädchens. Auch sie sahen mich beide an, doch ich hielt den Blick weiterhin auf den Mann gerichtet.
    »Amelia Gray?«
    »Ja?« Seit mein Blog so berühmt geworden war, kam es öfter vor, dass ich von Fremden angesprochen wurde, die mich wiedererkannten, weil sie die Fotos auf meiner Website oder dasberühmt-berüchtigte Video gesehen hatten. Der Süden, insbesondere das Gebiet um Charleston, war die Heimat von zig passionierten Taphophilen, doch ich ging nicht davon aus, dass dieser Mann ein Fan war oder ein Friedhofsliebhaber wie ich. Sein Blick war kalt, sein Verhalten unnahbar. Er sprach mich hier nicht an, um mit mir einen Schwatz über Grabsteine zu halten.
    »Ich heiße John Devlin, Charleston Police Department.« Während er das sagte, zog er seine Brieftasche heraus und hielt mir seinen Dienstausweis und seine Dienstmarke hin, und ich bedachte beides mit einem pflichtschuldigen Blick, obwohl mein Herz angefangen hatte, in einem qualvollen Stakkato zu schlagen.
    Ein Detective von der Polizei!
    Das hieß nichts Gutes.
    Es musste etwas Entsetzliches passiert sein. Meine Eltern kamen langsam in die Jahre. Was, wenn einer von ihnen einen Unfall gehabt hatte oder schwer krank geworden war oder   …
    Um keine unvernünftige Panik aufkommen zu lassen, vergrub ich die Hände in den Taschen meines Trenchcoats. Wenn Mama oder Papa irgendetwas zugestoßen wäre, hätte mich jemand angerufen. Hier ging es nicht um sie. Hier ging es um mich.
    Während ich auf eine Erklärung wartete, schwebten die liebreizenden Erscheinungen schützend um John Devlin herum. Soweit ich die Gesichtszüge der Frau erkennen konnte, war sie atemberaubend schön gewesen, mit hohen Wangenknochen und stolz geblähten Nasenflügeln, die darauf schließen ließen, dass sie kreolischer Abstammung war. Sie trug ein hübsches Sommerkleid, das sich um ihre langen schlanken Beine schmiegte wie ein hauchdünnes Gespinst.
    Das Kind sah aus, als sei es vier oder fünf Jahre alt gewesen, als es starb. Dunkle Locken umrahmten sein bleiches Gesicht, und jetzt, da es neben dem Mann in der Luft schwebte, strecktees die Hände nach ihm aus, als wollte es sich an dessen Schenkel festklammern oder sein Knie berühren.
    Er schien sich der Anwesenheit der beiden gar nicht bewusst zu sein, obwohl er ganz eindeutig ein von Geistern Heimgesuchter war. Das sah man an seinem Gesicht und an seinem Blick, der verschleiert und doch stechend zugleich war, und ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, welche Beziehung er wohl zu den Geistern hatte.
    Ich hielt meinen Blick fest auf sein Gesicht gerichtet. Er beobachtete mich ebenfalls, und zwar mit dieser Mischung aus Misstrauen und Überlegenheit, die den Umgang mit der Polizei selbst dann zu einer unangenehmen Angelegenheit machen konnte, wenn es nur um etwas so Banales ging wie ein Knöllchen.
    »Was wollen Sie?«, fragte ich, obwohl ich nicht beabsichtigt hatte, dass die Frage so unverblümt klang. Ich bin ein Mensch, der Konfrontationen gern aus dem Weg geht. Der jahrelange Umgang mit Geistern hatte mir nach und nach meine Spontaneität genommen und mich übermäßig diszipliniert und reserviert gemacht.
    Devlin trat einen Schritt näher, und ich ballte die Hände in den Manteltaschen zu Fäusten. Meine Kopfhaut zog sich unter einem Schauer zusammen, und am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass er bloß Abstand halten sollte: Kommen Sie ja nicht näher. Natürlich sagte ich kein Wort und kämpfte innerlich mit aller Macht gegen den eisigen Atem seiner Geister an.
    »Eine gemeinsame Bekannte hat mir geraten, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen«, sagte er.
    »Und wer soll das sein?«
    »Camille Ashby. Sie meinte, Sie könnten mir vielleicht weiterhelfen.«
    »Wobei?«
    »Bei
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