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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch
Autoren: Amanda Stevens
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einer polizeilichen Ermittlung.«
    Jetzt war ich eher neugierig als vorsichtig   – was mich zugleich auch kühn machte.
    Dr. Camille Ashby arbeitete in der Verwaltung der Emerson University, und unter den ehemaligen Studenten dieses elitären Privatcolleges waren einige der einflussreichsten, mächtigsten und bekanntesten Rechtsanwälte, Richter und Geschäftsleute von South Carolina. Vor Kurzem hatte ich den Auftrag bekommen, einen alten Friedhof wiederherzurichten, der sich auf dem Universitätsgelände befand. Eine von Dr. Ashbys Bedingungen war gewesen, dass ich keine Fotos auf meinem Blog veröffentlichen dürfe, bis die Restaurierung ganz abgeschlossen war.
    Ich konnte ihre Bedenken verstehen. Der jämmerliche Zustand des Friedhofs warf kein gutes Licht auf eine Universität, die sich rühmte, die Traditionen und ethischen Überzeugungen des alten Südens zu vertreten. Oder wie Benjamin Franklin es formuliert hatte: Den sittlichen Zustand einer Gesellschaft kann man daran erkennen, wie sie mit ihren Verstorbenen umgeht.
    Wie wahr.
    Allerdings wusste ich immer noch nicht, warum sie John Devlin zu mir geschickt hatte.
    »Soweit ich weiß, haben Sie in den letzten Tagen auf dem Friedhof von Oak Grove gearbeitet«, sagte er.
    Ich unterdrückte ein Schaudern.
    Oak Grove gehörte zu den wenigen Friedhöfen, die ein solches Unbehagen in mir hervorriefen, dass sich mir im wahrsten Sinne des Wortes die Nackenhaare aufstellten. So etwas hatte ich bis jetzt erst ein einziges Mal empfunden und zwar bei dem Besuch eines kleinen Friedhofs in Kansas, den man auch gern eines der sieben Tore zur Hölle nannte.
    Ich zog meinen Mantelkragen höher, um mich gegen die stechende Eiseskälte in meinem Nacken zu schützen.
    »Worum geht es denn?«
    Statt mir zu antworten, stellte er mir seinerseits eine Frage. »Wann waren Sie zum letzten Mal dort?«
    »Vor ein paar Tagen.«
    »Könnten Sie mir die Frage etwas präziser beantworten?«
    »Letzten Freitag.«
    »Vor fünf Tagen also«, murmelte er. »Sind Sie sich da ganz sicher?«
    »Natürlich. An dem Abend gab es einen schweren Sturm, und seitdem hat es immer wieder geregnet. Ich warte darauf, dass der Boden wieder trocken wird.«
    »Camille   … Dr. Ashby hat gesagt, dass Sie die Grabstellen fotografiert haben.« Er schwieg, bis ich das mit einem Nicken bestätigte. »Ich würde mir diese Aufnahmen gern mal ansehen.«
    Da schwang etwas mit in seinem Ton, in dieser ganzen Unterhaltung, sodass ich auf Abwehr ging. Vielleicht waren aber auch seine Geister schuld. »Können Sie mir sagen, warum? Und außerdem würde ich gern wissen, wie Sie mich heute Abend ausfindig gemacht haben.«
    »Sie haben Dr. Ashby gegenüber erwähnt, wo Sie zu Abend essen würden.«
    »Ich habe vielleicht den Namen des Restaurants erwähnt, aber ich habe ihr nicht gesagt, dass ich nach dem Essen einen Verdauungsspaziergang machen würde, denn das wusste ich da selbst noch nicht.«
    »Ich hatte so eine Ahnung«, meinte er.
    Eine Ahnung   … oder er war mir vom Pavilion aus nachgegangen.
    »Dr. Ashby hat meine Telefonnummer. Warum haben Sie mich nicht einfach angerufen?«
    »Das habe ich versucht. Es ist nur keiner drangegangen.«
    Na ja, okay, das stimmte. Ich hatte mein Telefon abgeschaltet, um einen ruhigen Abend zu haben. Trotzdem, die ganze Geschichte gefiel mir nicht. John Devlin war ein von Geisternheimgesuchter Mann, und in meiner Welt machte ihn das zu einem gefährlichen Mann.
    Darüber hinaus war er hartnäckig, hatte vielleicht auch noch eine gute Intuition, und das hieß: Je schneller ich ihn loswurde, desto besser.
    »Warum rufen Sie mich nicht gleich morgen früh an?«, schlug ich ihm in barschem und abweisendem Ton vor. »Egal, worum es geht, ich bin überzeugt, dass es bis dann warten kann.«
    »Nein, ich fürchte, das kann es nicht. Es muss noch heute Abend erledigt werden.«
    Ich fröstelte, denn sein Ton verhieß nichts Gutes. »Das klingt ja unheilvoll. Aber da Sie sich bestimmt ziemlich viel Mühe gegeben haben, mich aufzuspüren, können Sie mir sicher auch verraten, warum.«
    Er ließ den Blick durch die Dunkelheit hinter mir schweifen, und ich musste dem Drang widerstehen, nicht über die Schulter zu sehen. »Durch den Regen ist an einem Grab auf dem Friedhof von Oak Grove eine Leiche hochgespült worden.«
    Das kam schon mal vor, dass alte Knochen mit der Zeit hochgespült wurden, weil Särge vermoderten oder weil die Gräber sich senkten.
    »Meinen Sie Skelettreste?«, fragte ich
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