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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch
Autoren: Amanda Stevens
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Leute Fotos, Restaurationstechniken und, jawohl, auch mal die eine oder andere Geistergeschichte austauschen können. Ich hatte den Blog als Hobby angefangen, doch die Zahl meiner Leser war in den letzten paar Monaten explosionsartig gestiegen.
    Angefangen hatte das Ganze mit der Restaurierung eines alten Friedhofs in Samara, einer kleinen Stadt im Nordosten von Georgia. Dort war das jüngste Grab über hundert Jahre alt, undeinige der ältesten stammten noch aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg.
    Der Friedhof war ziemlich vernachlässigt worden, seit dem Amt für Denkmalpflege in Samara in den Sechzigerjahren das Geld ausgegangen war. Die eingefallenen Gräber waren verwuchert, die Grabsteine von der Erosion so abgetragen, dass sie fast glatt waren und nichts mehr darauf zu erkennen war. Vandalen waren auch am Werk gewesen, und somit galt es erst einmal, den Abfall von fast vier Jahrzehnten aufzulesen und wegzuschaffen.
    Gerüchte, dass es auf dem Friedhof spukte, gab es schon seit Jahren, und manche Stadtbewohner weigerten sich, einen Fuß hineinzusetzen. Es war schwierig, gute Hilfskräfte zu finden und auch zu halten, obwohl ich hätte beschwören können, dass es auf dem Friedhof von Samara keine Geister gab.
    Am Ende lief es darauf hinaus, dass ich fast die ganze Arbeit allein machte, doch als ich mit dem Säubern fertig war, änderte sich die Haltung der Einheimischen plötzlich und zwar drastisch. Sie sagten, es sei so, als hätte man eine düstere Wolke von ihrem Städtchen genommen, und manche behaupteten sogar, dass die Restaurierung nicht nur auf handfeste Art und Weise, sondern auch spirituell stattgefunden habe.
    Ein Sender im benachbarten Athens schickte Reporter und eine Filmcrew, um mich zu interviewen, und als der Beitrag online auftauchte, fiel irgendjemandem im Hintergrund ein Schatten auf, der zwar nicht deutlich zu erkennen war, der aber doch eine menschenähnliche Form hatte. Die Gestalt schien über den Friedhof zu schweben und himmelwärts zu steigen.
    An dem Schatten war nichts Übernatürliches, es handelte sich dabei nur um ein Spiel von Licht und Schatten, aber zahllose Websites, die sich mit paranormalen Phänomenen befassen, griffen die Bilder auf, und das YouTube-Video verbreitete sich wie ein Virus. Nun begannen Scharen von Menschen aus allerWelt, Gräber schaufeln zu besuchen, wo man mich unter dem Namen »Friedhofskönigin« kannte. Der Traffic wurde so groß, dass mir die Produzenten einer Geisterjägerfernsehshow anboten, Werbung auf meiner Website zu schalten. Und so kam es, dass ich jetzt in einem der glanzvollsten Restaurants von Charleston, dem Pavilion on the Bay , Champagner schlürfte und Wildpilztorte schlemmte.
    Das Leben meinte es gut mit mir in diesen Tagen, dachte ich mit einem Anflug von Selbstgefälligkeit, und da sah ich den Geist.
    Was aber noch viel schlimmer war: Er sah mich.

ZWEI
    Oft erkenne ich die Gesichter der Totengeister nicht, denen ich begegne, doch hin und wieder ist es schon vorgekommen, dass ich das Prickeln eines Déjà-vu-Erlebnisses empfand, als hätte ich im Vorbeigehen schon einmal einen Blick auf sie erhascht. Ich hatte das große Glück, dass ich in den siebenundzwanzig Jahren meines Lebens noch niemanden verloren habe, der mir wirklich nahestand. Ich erinnere mich allerdings an eine Begegnung in der Highschool-Zeit mit dem Geist einer Lehrerin. Sie hieß Miss Compton, und sie war an einem verlängerten Feiertagwochenende bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Als der Unterricht am darauffolgenden Dienstag wieder losging, blieb ich länger in der Schule, um an einem Projekt zu arbeiten, und da sah ich ihren Geist im dämmrigen Flur in der Nähe meines Spinds schweben. Ihre Erscheinung traf mich völlig unvorbereitet, denn zu Lebzeiten war Miss Compton betont zurückhaltend und äußerst bescheiden gewesen. Ich hatte nicht erwartet, dass sie gierig zurückkehren und hungrig nach dem suchen würde, was sie niemals wieder würde haben können.
    Irgendwie gelang es mir, die Fassung zu bewahren, und ich schnappte meinen Rucksack und schloss meinen Spind. Sie verfolgte mich durch den langen Flur und durch die Eingangstür nach draußen, und dabei spürte ich ihren eisigen Atem in meinem Nacken und wie ihre frostkalten Hände sich in meine Kleidung krallten. Es dauerte sehr lange, bis sich die Luft ummich herum wieder erwärmte, und ich wusste, dass sie wieder ins Jenseits entschwunden war. Nach dieser Erfahrung achtete ich darauf, dass ich immer weit
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