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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch
Autoren: Patricia Cornwell
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nennen«, fährt Scarpetta fort.
»Nach einer Weile setzt sich der livor
mortis, sodass sich die betreffende
Körperstelle violett verfärbt. Außerdem entsteht ein weißliches Muster dort, wo
etwas gegen die Leiche drückt oder sie, zum Beispiel durch enge Kleidung,
zusammengepresst wird. Könnten wir bitte das Autopsiefoto sehen?« Sie nimmt die
Liste auf dem Pult zur Hand. »Nummer einundzwanzig.«
    An der Wand erscheint eine Aufnahme, die Drew
bäuchlings auf einem Stahltisch im Autopsiesaal der Universitä Tor Vergata
zeigt. Scarpetta lässt den roten Laserpunkt über die durch livor mortis verursachten
violetten und weißlichen Stellen gleiten. Auf die schrecklichen Wunden, die an dunkelrote Krater erinnern,
wird sie später zu sprechen kommen.
    »Wenn ich nun bitte das Foto sehen könnte, auf dem
sie in den Leichensack gelegt wird«, fährt sie fort.
    Wieder erscheint eine dreidimensionale Aufnahme des
Fundorts an der Wand. Diesmal jedoch sind Ermittler mit weißen Schutzanzügen,
Handschuhen und Schuhhüllen zu sehen, die Drews schlaffe, nackte Leiche in
einen mit einem Laken ausgekleideten Leichensack legen, der auf einer Bahre
ausgebreitet ist. Ringsherum halten andere Ermittler weitere Laken hoch, um
den Gaffern und Paparazzi, die um die Baustelle herumstehen, die Sicht zu versperren.
    »Vergleichen Sie dieses Foto mit dem von gerade
eben. Als die Leiche etwa acht Stunden nach dem Auffinden obduziert wurde,
hatte sich der livor mortis fast vollständig gesetzt«, sagt Scarpetta. »Doch schon
hier ist er bereits in einem frühen Stadium zu erkennen.« Der rote Punkt
gleitet über die rosigen Stellen auf Drews Rücken. »Auch die Leichenstarre
befand sich in der Anfangsphase.«
    »Können Sie ausschließen, dass die Leichenstarre,
vielleicht wegen einer Muskelverkrampfung nach dem Tod, verfrüht eingetreten
ist? Womöglich hat sie sich, kurz bevor sie starb, körperlich stark angestrengt
und sich zum Beispiel gegen den Täter gewehrt. Dieses Phänomen haben Sie noch
gar nicht erwähnt.« Wieder unterstreicht Capitano Poma etwas auf seinem
Notizblock.
    »Dafür gibt es keinen Grund«, entgegnet Scarpetta
und kann sich die Frage kaum verkneifen, welche an den Haaren herbeigezogenen
Einwände er wohl noch anführen möchte. »Ganz gleich, ob sie sich nun körperlich
angestrengt hat oder nicht, war die Leichenstarre noch nicht vollständig
ausgebildet, als man sie fand. Also kommt ein Muskelkrampf nicht in Frage.«
    »Es sei denn, die Leichenstarre wäre schon wieder
vorbei gewesen.«
    »Unmöglich, da sie im Autopsiesaal vollständig
eingetreten war. Eine Leichenstarre, die kommt, geht und dann wiederkommt, habe
ich noch nie gesehen.«
    Die Dolmetscherin muss sich beim Übersetzen ein
Grinsen verkneifen, und einige Anwesende lachen.
    »Hier erkennen Sie« - Scarpetta zeigt mit dem Pointer
auf Drews Leiche, die gerade auf die Bahre gehoben wird -, »dass ihre Muskeln
nicht versteift, sondern sogar ziemlich beweglich sind. Als sie gefunden wurde,
war sie meiner Schätzung nach erst seit knapp sechs Stunden tot, vielleicht
sogar weniger.«
    »Wie können Sie als weltbekannte Expertin da so vage
sein?«
    »Weil wir nicht wissen, wo sie zuvor gewesen ist und
welchen Temperaturen oder äußeren Bedingungen sie ausgesetzt war, ehe sie auf
der Baustelle abgelegt wurde. Körpertemperatur, Leichenstarre, livor mortis, all diese
Faktoren können von Fall zu Fall individuell stark variieren.«
    »Also halten Sie es aufgrund des Zustands der Leiche
für unmöglich, dass die Tote kurz nach dem Mittagessen mit ihren Freundinnen
ermordet wurde? Vielleicht, während sie allein zur Piazza Navona ging, um sich
mit ihnen zu treffen?«
    »Ich glaube nicht, dass es sich so abgespielt hat.«
    »Dann muss ich Sie leider noch einmal fragen: Wie
erklären Sie sich das unverdaute Essen und die 2,0 Promille Alkohol im Blut?
Das weist doch deutlich darauf hin, dass sie kurz nach dem Mittagessen
gestorben ist, nicht erst fünfzehn oder sechzehn Stunden später.«
    »Es ist möglich, dass sie noch mehr Alkohol
konsumiert hat, nachdem sie sich von ihren Freundinnen verabschiedet hatte.
Außerdem könnte ihre Verdauung ausgesetzt haben.«
    »Was? Wollen Sie etwa andeuten, dass sie womöglich
zehn, zwölf oder gar fünfzehn Stunden mit ihrem Mörder verbracht und sogar mit
ihm getrunken hat?«
    »Vielleicht hat er ihr den Alkohol eingeflößt, um
sie betrunken und wehrlos zu machen. Als eine Art Betäubungsmittel.«
    »Sie wurde demnach
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