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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch
Autoren: Patricia Cornwell
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hinzu.
    Die Animation geht weiter. Die Baustelle liegt still
im Morgengrauen. Es regnet. Die umliegenden Fenster bleiben dunkel, die Läden
sind geschlossen. Kein Straßenverkehr. Dann das Geräusch eines Motorrads, das
lauter wird. Auf der Via di Pasquino kommt eine rote Ducati in Sicht. Der
Fahrer ist eine Trickfigur mit Regenkluft und Integralhelm. Auf der dell'Anima
biegt er rechts ab und bleibt plötzlich stehen. Das Motorrad fällt polternd
aufs Pflaster. Der Motor erstirbt. Der erschrockene Fahrer steigt über sein
Motorrad und geht zögernd über den Steg aus Aluminium. Seine Stiefel klacken
auf dem Metall. Die Leiche unter ihm im Morast sieht jetzt besonders grausig
aus, weil es sich um ein dreidimensionales Foto handelt, das einen scharfen
Kontrast zu der sich ruckartig bewegenden Computeranimation des Motorradfahrers
bildet.
    »Inzwischen ist es kurz nach halb acht. Wie Sie
sehen, ist es bewölkt und regnerisch«, erklärt Capitano Poma. »Bitte spulen
Sie zu Professor Fiorani am Tatort vor, das wäre Bild vierzehn. Und nun, Dr.
Scarpetta, können Sie sich in Begleitung des Professors, der heute Nachmittag
verhindert ist, am Fundort umsehen. Leider wurde er in den Vatikan gerufen. Ein
Kardinal ist gestorben.«
    Benton starrt an Scarpetta vorbei auf die Leinwand.
Ihr krampft sich der Magen zusammen, weil er so unglücklich ist und sie nicht
ansehen mag.
    Neue Bilder - Videoaufnahmen in 3 -D -
huschen über die Leinwand. Blaulichter zucken. Streifenwagen und ein
dunkelblauer Kleinbus der Spurensicherungsexperten der Carabinieri sind zu
sehen. Carabinieri mit Maschinenpistolen im Anschlag sind um die Baustelle
gruppiert. Polizisten in Zivil machen sich hinter der Absperrung zu schaffen.
Kameraverschlüsse klicken. Auf der Straße stehen Menschen und tuscheln. Der
Rotor eines Polizeihubschraubers zerschneidet die Luft. Der Professor - der
renommierteste Gerichtsmediziner von Rom - trägt einen mit Schlamm bespritzten
weißen Schutzanzug. Eine Nahaufnahme von Drews Leiche aus seiner Perspektive.
Durch die stereoskopische Brille wirkt sie so erschreckend real, dass Scarpetta
fast glaubt, ihre Haut und die klaffenden Wunden berühren zu können, die mit
Morast verschmiert sind und im Regen glänzen. Ihr langes blondes Haar klebt
ihr nass im Gesicht. Ihre Augen sind geschlossen, die Augenlider stark nach
außen gewölbt.
    »Dr. Scarpetta«, sagt Capitano Poma. »Sehen Sie sich
die Leiche gut an und sagen Sie uns, was Sie feststellen. Natürlich haben Sie
Professor Fionaris Bericht gelesen. Doch nun hatten Sie Gelegenheit, die
Leiche in dreidimensionaler Darstellung zu begutachten und den Fundort zu
besichtigen. Nun würden wir uns für Ihre Meinung interessieren. Scheuen Sie
sich nicht, von Professor Fionaris Ergebnissen abzuweichen.«
    Allerdings hält man den guten Professor für
unfehlbarer als den Papst, den er vor zwei Jahren einbalsamiert hat.
    Der rote Laserpunkt des Pointers bewegt sich. »Die
Stellung der Leiche«, sagt Scarpetta. »Auf der rechten Seite, die Hände unter
dem Kinn gefaltet und die Beine leicht gebeugt. Diese Haltung ist doch bewusst
arrangiert, oder, Dr. Wesley?« Sie betrachtet Bentons dicke Gläser, sein Blick
ist an ihr vorbei auf die Leinwand gerichtet. »Wollen Sie uns etwas darüber
sagen?«
    »Die Leiche wurde vom Mörder mit einer bestimmten
Absicht so hingelegt.«
    »So als ob sie betet?«, hakt der Polizeichef nach.
    »Welcher Konfession gehörte sie denn an?«, fragt der
stellvertretende Direktor der Kriminalpolizei. Aus dem dämmrigen Vorführsaal
hallen jede Menge weiterer Fragen.
    »Römisch-katholisch.«
    »Aber soweit ich weiß, war sie nicht fromm.«
    »Nicht sehr.«
    »Möglicherweise ein religiöses Motiv?«
    »Ja, das habe ich mich auch schon gefragt. Von der
Baustelle ist es schließlich nicht weit zu Sant'Agnese in Agone.«
    »Für diejenigen, die nicht damit vertraut sind«,
erklärt Capitano Poma. »Die heilige Agnes war eine Märtyrerin, die im Alter von zwölf Jahren gefoltert wurde, weil sie sich geweigert
hat, einen Heiden wie mich zu heiraten.«
    Gelächter. Eine kurze Debatte, ob es mit dem Mord
eine religiöse Bewandtnis hat. Aber Benton verneint.
    »Es geht um sexuelle Erniedrigung«, sagt er. »Sie
wird nackt zur Schau gestellt, in aller Öffentlichkeit und genau dort, wo sie
ihre Freundinnen treffen sollte. Der Mörder wollte, dass sie gefunden wird,
und es kam ihm darauf an, Menschen zu schockieren. Das hauptsächliche Motiv ist
nicht Religiosität,
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