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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch
Autoren: Patricia Cornwell
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gezwungen, den ganzen Nachmittag
und die Nacht hindurch bis in die frühen Morgenstunden Alkohol zu trinken, und
hat vor lauter Angst ihr Essen nicht verdaut. Das soll eine plausible Erklärung
sein?«
    »Es wäre nicht das erste Mal«, erwidert Scarpetta.
    Die Baustelle nach Einbruch der Dunkelheit.
    Die umliegenden Läden, pizzerie und ristoranti sind
erleuchtet und belebt. Autos und Motorroller stehen am Straßenrand und auf den
Gehwegen. Verkehrslärm, Schritte und Stimmen sind zu hören.
    Plötzlich erlöschen die Lichter hinter den Fenstern.
Es wird still.
    Motorengeräusch. Dann kommt ein Auto in Sicht. Ein
viertüriger schwarzer Lancia parkt an der Ecke Via di Pasquino und
dell'-Anima. Die Fahrertür geht auf, und eine computeranimierte Männergestalt
steigt aus. Der Mann ist grau gekleidet und hat keine Gesichtszüge. Hände und
Gesicht sind ebenfalls grau. Daraus sollen die Anwesenden schließen, dass man
dem Mörder bis jetzt weder Alter, Hautfarbe noch irgendwelche körperlichen
Merkmale zugeordnet hat. Der Einfachheit halber geht man von einem männlichen
Täter aus. Der graue Mann öffnet den Kofferraum und holt eine Leiche heraus.
Diese ist in einen blau, rot, golden und grün gemusterten Stoff eingewickelt.
    »Das Aussehen des Lakens wurde aus den Seidenfasern
rekonstruiert, die an der Leiche und im Morast sichergestellt wurden«, erklärt
Capitano Poma.
    »Die Fasern wurden überall am Körper gefunden«,
ergänzt Benton Wesley. »Auch in den Haaren und an Händen und Füßen. Sehr viele
davon klebten in den Wunden des Opfers. Daraus können wir schließen, dass die
Tote von Kopf bis Fuß darin eingewickelt war. Also handelt es sich offenbar um
ein großes Stück bunter Seide. Ein Bettlaken vielleicht. Oder ein Vorhang ...«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Auf zweierlei. Wir sollten nicht von einem Laken
sprechen, weil das eine reine Mutmaßung ist. Außerdem könnte der Täter die
Leiche in eine Stoffbahn gewickelt haben, die aus seiner Wohnung, von seinem
Arbeitsplatz oder von dem Ort stammt, wo er sie festgehalten hat.«
    »Ja, ja.« Capitano Poma betrachtet weiter den an die
Wand projizierten Fundort. »Wir wissen auch, dass die Teppichfasern mit dem
Teppich im Kofferraum eines Lancia Thesis, Baujahr 2005, übereinstimmen. Ein solcher Wagen wurde beobachtet, als
er sich gegen sechs Uhr morgens vom Fundort entfernte. Die Zeugin, eine
Anwohnerin, war aufgestanden, um nach ihrer Katze zu sehen, weil sie ... wie
lautet das Wort?«
    »Jaulte? Miaute?«, schlägt die Dolmetscherin vor.
    »Sie stand auf, weil ihre Katze miaute, schaute
dabei zufällig aus dem Fenster und bemerkte eine dunkle Luxuslimousine, die
sich in gemächlichem Tempo von der Baustelle entfernte. Der Wagen sei nach
rechts in die dell'Anima, eine Einbahnstraße, eingebogen. Bitte fahren Sie
fort.«
    Die Animation geht weiter. Der graue Mann hebt die
bunt eingewickelte Leiche aus dem Kofferraum und trägt sie zu einem nahe
gelegenen Steg aus Aluminium, der nur mit einem Seil abgesperrt ist. Der Mann
steigt über das Seil und geht mit der Leiche eine Holzbohle hinunter, die zu
der Baustelle führt. Nachdem er sie neben der Bohle auf den Boden gelegt hat,
kniet er sich hin und wickelt die Tote rasch aus. Es ist Drew Martin, keine
Animation, sondern ein dreidimensionales Foto. Man kann sie gut erkennen - ihr
aus den Medien bekanntes Gesicht und die grausigen Wunden auf ihrem schlanken,
durchtrainierten nackten Körper. Der graue Mann knüllt den bunten Stoff
zusammen, kehrt zu seinem Wagen zurück und fährt mit vorschriftsmäßiger Geschwindigkeit
davon.
    »Wir glauben, dass er sein Opfer getragen, nicht
geschleppt hat«, erklärt Capitano Poma. »Denn die Fasern wurden nur auf der
Leiche und dem Boden unmittelbar darunter gefunden. Sonst gab es keine. Das ist
zwar kein Beweis, deutet aber darauf hin, dass sie nicht mitgeschleift wurde.
Wie ich Sie erinnern darf, wurde der Fundort per Laser kartographiert, sodass
die Perspektive, die Sie hier sehen, sowie die Position der vorhandenen
Gegenstände und der Leiche genau den tatsächlichen Umständen entsprechen.
Selbstverständlich handelt es sich lediglich bei den Menschen und Gegenständen,
die - so wie der Täter - nicht auf Video aufgenommen oder fotografiert wurden,
um Animationen.«
    »Wie schwer war sie?«, fragt der Innenminister aus
der letzten Reihe.
    Scarpetta erwidert, Drew Martin habe sechzig Kilo
gewogen. »Der Täter muss ziemlich kräftig gewesen sein«, fügt sie
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