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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch
Autoren: Patricia Cornwell
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Patricia Cornwell
     
    TOTENBUCH
     
    Ein Kay-Scarpetta-Roman
     
    Aus dem Amerikanischen von Karin Dufner
     
     
    Rom
     
    Wasser plätschert. Eine Wanne aus grauen
Mosaikfliesen, tief im Terrakottaboden versenkt.
    Langsam rinnt das Wasser aus dem alten Messinghahn;
durch ein Fenster dringt Dunkelheit herein. Auf der anderen Seite der
schmutzigen Glasscheibe liegen die piazza, der Brunnen, die Nacht.
    Reglos sitzt sie im Wasser. Das Wasser ist sehr
kalt, Eiswürfel schwimmen darin. Inzwischen ist ihr Blick stumpf. Fast alles
Leben scheint aus ihren Augen gewichen. Anfangs waren ihre Augen noch wie
Hände, die sich ihm entgegenstreckten und ihn um Gnade anflehten. Nun aber
haben sie einen schmutzigtrüben Blauton angenommen. Was einst in ihnen gewesen
war, ist nahezu verschwunden. Bald wird sie eingeschlafen sein.
    »Hier.« Er reicht ihr einen Cognacschwenker aus
mundgeblasenem Muranoglas. Wodka.
    Ihn faszinieren die Teile ihres Körpers, die noch
nie die Sonne gesehen haben. Sie sind bleich wie Kalkstein. Er dreht den Hahn
fast ganz zu, aus dem Rinnsal werden einzelne Tropfen, und beobachtet, wie ihr
Atem immer schneller geht und ihre Zähne klappern. Ihre hellen Brüste, zart
wie weiße Blüten, treiben dicht unter der Wasseroberfläche. Ihre von der Kälte
steifen Brustwarzen sind feste, rosige Knospen. Er muss an die Bleistifte mit
dem rosafarbenen Radiergummistummel denken, die er als Schüler abgekaut hat.
Seinem Vater - und manchmal auch seiner Mutter - erklärte er, er brauche keine
Radiergummis, er mache sowieso keine Fehler. Aber in Wahrheit kaute er nun mal
gern drauf herum. Dagegen war er einfach machtlos.
    »Du wirst dich an meinen Namen erinnern«, sagt er zu
ihr.
    »Nein, bestimmt nicht«, erwidert sie. »Ich kann ihn
wieder vergessen.« Ihre Zähne klappern.
    Er weiß, warum sie das sagt. Wenn sie seinen Namen
vergisst, könnte er vielleicht ihr Schicksal neu überdenken wie in einem
Schlachtplan, der an eine veränderte Lage angepasst werden muss.
    »Wie heiße ich?«, fragt er. »Sag mir meinen Namen.«
    »Ich kann mich nicht erinnern.« Sie zittert und
schluchzt.
    »Sag ihn mir«, herrscht er sie an und betrachtet
dabei ihre sonnengebräunten, von Gänsehaut bedeckten Arme mit den blonden
aufgestellten Härchen, ihre jungen Brüste und die dunkle Stelle im Wasser
zwischen ihren Beinen.
    »Will.«
    »Und wie weiter?“
    »Rambo.«
    »Du findest diesen Namen komisch«, sagt er und lässt
sich nackt auf dem Toilettensitz nieder. Sie schüttelt heftig den Kopf.
    Lügnerin. Sie hat sich über ihn lustig gemacht, als
er ihr seinen Namen sagte, und gelacht, das sei doch ein erfundener Name, ein
Name aus einem Film. Nein, sagte er, der Name ist schwedisch. Unsinn, das ist
kein schwedischer Name. Doch, es ist ein schwedischer Name. Oder woher soll er
denn sonst stammen? Es gibt diesen Namen wirklich. Na klar, so wie Rocky. Sie
kicherte. Schau doch im Internet nach, den Namen gibt es wirklich. Es gefiel
ihm nicht, sich wegen seines Namens rechtfertigen zu müssen. Das war vor zwei
Tagen. Er hat es ihr zwar nicht übel genommen, es sich jedoch gemerkt. Aber er
verzeiht ihr. Schließlich leidet sie sehr. Ihr Leid ist geradezu unerträglich.
    »Meinen Namen zu kennen ist wie ein Echo«, sagt er.
»Eigentlich spielt er keine Rolle. Er ist nur ein Geräusch, das ausgesprochen
wird.«
    »Ich würde ihn niemals aussprechen.« Panik.
    Ihre Lippen und ihre Nägel sind blau, und sie
zittert am ganzen Leib. Sie starrt ihn an. Er fordert sie auf, noch mehr zu
trinken. Sie wagt nicht, sich zu weigern. Sie weiß genau, was ihr blüht, wenn
sie auch nur im Ansatz Widerstand leistet. Ein kleiner Schrei genügt, das ist
ihr klar. Ruhig sitzt er auf der Toilette, die Beine gespreizt, damit sie
sieht, wie erregt er ist, und sich davor fürchtet. Inzwischen fleht sie ihn
nicht mehr an, doch mit ihr zu machen, was er will, falls das der Grund sein
sollte, warum er sie gefangen hält. Sie hat es aufgegeben, denn sie weiß, was
geschieht, wenn sie ihn beleidigt, indem sie auch nur andeutet, dass er
überhaupt etwas von ihr wollen könnte. Und nicht sie es will
und sich ihm bereitwillig hingibt.
    »Du weißt, ich habe dich nur freundlich gebeten«,
sagt er. »Ich weiß nicht.« Ihre Zähne klappern.
    »Du weißt es sehr gut. Ich habe dich gebeten, dich
bei mir zu bedanken. Mehr verlange ich nicht, und ich war nett zu dir. Ich
habe dich ganz freundlich gefragt, aber du wolltest es ja so. Du hast mich dazu
gezwungen. Siehst du« -
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