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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte
Autoren: Ann Cleeves
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Oder hatten Sie Angst, dass Clive Sie in die Sache hineinziehen würde?»
    «Das muss ich mir nicht anhören, Inspector. Wie Sie selbst sagen: Sie können mir nichts anhaben.»
    Er stand auf und ging durch die offene Tür nach draußen. Vera sah, wie er die Wiese überquerte und dabei seiner Frau, die offenbar noch immer am Fenster stand, wie zur Beruhigung eine Kusshand zuwarf.
     
    Um zehn Uhr am selben Vormittag setzten bei Ashworths Frau die Wehen ein. Gegen fünf rief er auf dem Revier an, um Vera zu erzählen, dass sie einen Sohn bekommen hatten.Jack Alexander. Er wog fast 4500   Gramm, ein richtiger kleiner Brummer. Vera war gerade im Begriff, das Revier zu verlassen, um endlich ins Bett zu kommen, ließ sich dann aber doch noch überreden, ihn auf ein Bier zu treffen. Sie feierte zwar nur ungern anderer Leute Kinder, aber das war immer noch besser, als stocknüchtern und allein in ein leeres Haus zurückzufahren. Am Ende schlug sie ihm sogar vor, sie doch auf dem Heimweg im alten Stationsvorsteherhäuschen zu besuchen. Sie wusste, dass sie sich sowieso nicht auf zwei halbe Pints beschränken konnte, und so musste sie anschließend wenigstens nicht mehr fahren. Auf dem Heimweg fuhr sie beim Supermarkt vorbei und kaufte eine Flasche Champagner und einen riesigen Blumenstrauß für Sarah. Ashworth würde sich sicher darüber freuen. Außerdem legte sie noch ein indisches Fertiggericht und eine Flasche Grouse in den Einkaufswagen. Sie würde später etwas zum Einschlafen brauchen.
    Ashworth traf fünf Minuten nach ihr ein. Vom Küchenfenster aus sah sie ihn aus dem Wagen springen, übernächtigt und strahlend. Sie hatte sich bereits einen großen Whisky genehmigt. Jetzt spülte sie das Glas aus und stellte es zurück auf das Tablett, damit Ashworth nicht merkte, dass sie schon etwas getrunken hatte.
    Sie setzten sich nach draußen. Das Haus war noch viel unordentlicher als sonst, und Vera wollte nicht, dass er das Chaos sah. Sie hätte es nicht ertragen, dass er sie bemitleidete. Sie fühlte sich leicht benommen vom Schlafmangel. Während sie sich unterhielten, hörten sie die Tiere der Nachbarn: Schafe, Ziegen und der unvermeidliche Hahn.
    «Sie hatten also doch recht», sagte Vera. «Stringer war ein echter Spinner.»
    «Und Sie wussten schon die ganze Zeit, dass er es war?»
    «Ich hielt es für eine reelle Möglichkeit.»
    «Aber Sie haben nichts gesagt.»
    «Ich hatte keine Beweise. Außerdem kannte ich in meiner Jugend etliche Typen wie Clive Stringer. Einzelgänger, Besessene. Die sind auch nicht alle zu Serienmördern geworden.»
    «Und warum ausgerechnet er?»
    «Er war nun mal romantisch», sagte Vera. «Er glaubte an glückliche Familien.»
    «Das ist ja wohl kein Motiv.»
    «Für ihn schon», gab sie zurück. «Für ihn hatte das alles eine eigene Logik.» Sie schaute in die Ferne und dachte sich, dass die Berge an diesem Abend gestochen scharf und nah wirkten. Das schöne Wetter würde wohl nicht mehr lange anhalten.
    «Das müssen Sie mir erklären.» Auch Joe glaubte an glückliche Familien, und zwar schon früher, bevor er selbst eine hatte. Aber er war schließlich auch in einer groß geworden. Vera merkte, dass er sie ansah, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf.
    «Clive war ein Einzelgänger», sagte sie. «Kein Vater. Keine Freunde. Nur diese Hexe von Mutter, die alles Leben aus ihm herausgesaugt hat. Er hatte zwei Ersatzfamilien: die Sharps und Peter Calvert und seine Vogelfreunde. Beide Morde sollten dazu dienen, diese Familien zu schützen. Er fühlte sich Tom Sharp sehr nahe, hat auf ihn aufgepasst, als er noch klein war, und Luke gab er die Schuld an Toms Tod. Die Calverts waren für ihn das perfekte Paar. Er hat Peter vergöttert und glaubte, in Felicity verliebt zu sein. Er wollte nicht, dass sie verletzt wird, indem sie von der Affäre ihres Mannes erfährt.»
    «Wir werden nie mit Sicherheit wissen, was in seinem Kopf vorging, stimmt’s?» Ashworth sah von seinem Glas auf, und Vera spürte, dass er mit seinen Gedanken ganz beiseinem neugeborenen Sohn war, diesem runzligen, roten, brüllenden Geschöpf. Bevor er ihr erlaubt hatte, über die Mordfälle zu reden, hatte sie sich sämtliche Details der Geburt anhören müssen. Wie tapfer Sarah gewesen war. «Sie hat sich absolut nichts geben lassen, nur ein bisschen Sauerstoff und etwas Lachgas.» Ihm war es völlig gleichgültig, dass Clive Stringer zwei Menschen ermordet und einen dritten entführt hatte. Zumindest an diesem Abend.
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