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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte
Autoren: Ann Cleeves
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aufgeräumt. In jedem standen drei Etagenbetten, am Fuß jedes Bettes lag eine ordentlich gefaltete graue Decke. Es roch ganz leicht modrig und nach alten Socken.
    Vera drehte sich um und folgte Ashworth, der schon wieder in der Küche war. Jetzt musste sie wohl zugeben, dass sie sich getäuscht hatte. Sie würde ihm das Versprechen abnehmen müssen, keiner Menschenseele etwas von diesem Irrtum zu erzählen, und ihn dann nach Hause zu seiner kugelrunden Frau schicken.
    «Hier war noch vor ganz kurzem jemand», verkündete Ashworth. «Der Wasserkessel ist noch heiß. Vielleicht kam der Lichtschein, den Sie gesehen haben, ja daher, dass das Gas angezündet wurde.»
    Dann blieb ihnen also doch noch eine Chance, Laura zu finden, ehe sie getötet wurde. Vera hätte Joe am liebsten geküsst.
    Der schien gar nicht zu merken, was für eine Freude seine Worte Vera bereiteten. «Weit kann er nicht gekommen sein. Da hätten wir ja draußen auf der Straße ein Fahrzeug sehen müssen. In der Einfahrt stand auch kein Wagen. Wahrscheinlich hat er weiter unten am Weg geparkt.»
    «Jedenfalls weiß er jetzt, dass wir hier sind», sagte Vera. «War wohl nicht gerade die klügste Entscheidung meiner Karriere, das Licht einzuschalten. Das sieht man hier kilometerweit.» Sie eilte aus dem Haus hinaus in den Garten, stolperte fast auf der untersten Eingangsstufe. Direkt vor ihr lag der Teich. Man sah fast keinen Widerschein auf dem Wasser, nur kleine silbrige Flecken nahe am Ufer. Und mittendrin einen mattschwarzen Schatten. Vera ertappte sich dabei, wie sie im Stillen zu einem Gott betete, an den sie gar nicht glaubte:
Mach, dass sie das nicht ist. Mach, dass es nicht das Mädchen ist. Nicht Laura.
Sie hörte Ashworth dicht hinter sich, seine Atemzüge, sogar das Geräusch, das der Jeansstoff seiner Hose beim Gehen machte. Ich hoffe nur, du betest auch, dachte sie. Du bist wenigstens gläubig. Auf dich hört Er vielleicht.
    Sie hockte sich hin, um besser sehen zu können. Eben glaubte sie, einen weiblichen Körper zu sehen, der mit ausgestreckten Armen im Wasser trieb, da schaltete Ashworth seine Taschenlampe ein. Als der schmale Lichtstrahl über die Wasseroberfläche glitt, sah Vera glatte, wächserne Blätter, Pflanzenknäuel, die das Licht schluckten, aber keine menschliche Gestalt. Keine Tote. Sie merkte, dass ihr der Atem gestockt war, und holte tief Luft. Ihr wurde ein wenig schwindelig.
    Vielleicht war Laura tot, doch immerhin lag sie nicht hier im Tümpel, inszeniert, benutzt, zu einem Kunstwerk gemacht, das nichts mehr mit der echten Laura gemein hatte. Wenigstens das würde Julie erspart bleiben.
    Vera richtete sich wieder auf und versuchte, sich zu konzentrieren, sich an das zu erinnern, was bei dem Fest in Deepden noch geschehen war. Entschlossen, wie sie war, Hector auf dem Pfad der Tugend zu halten, hatte sie selbst keinen Tropfen getrunken. Es hatte diesen Rundgang gegeben:einen Spaziergang durch den Garten, wo das Sonnenlicht schräg zwischen den Obstbäumen hindurchfiel, einen Blick ins Haus, das für diesen Anlass gerade renoviert worden war. Und danach hatte jemand demonstriert, wie man Vögel beringte.
    Die Beringungsvorführung. Sie hatten einen Halbkreis um einen hochgewachsenen Mann im blauen Arbeitskittel gebildet, der ihnen einen Vogel entgegenhielt. Eine Goldammer. Er hielt sie mit sanftem Griff, den Kopf zwischen Mittel- und Ringfinger. Durch die Tür konnten sie beobachten, wie er den Vogel wog. Er ließ ihn mit dem Kopf voran in einen Kunststoffkegel gleiten, der an einer Federwaage befestigt war. Mit einem Metalllineal maß er die Flügelspannweite, dann nahm er mit der freien Hand eine Kneifzange aus dem Regal und löste einen silbernen Ring von einem Stück Schnur an der Wand. Den Ring legte er dem Vogel um das Bein und drückte ihn vorsichtig mit der Zange fest. Dann trat er an eine Tür, den kleinen Vogel auf der flachen Hand, und wartete, bis er davonflog.
    Die Tür zum Bungalow war es nicht gewesen, da war sich Vera sicher. Sie durchforstete ihr Gedächtnis nach einem genaueren Bild. Eine eher wacklige Holztür, versperrt von einem Vorhängeschloss, das der Beringer geöffnet hatte, nachdem er mit dem gefangenen Vogel zurückgekommen war. Die Tür führte in eine Hütte, so groß wie ein Geräteschuppen und ganz aus verschossenen Holzbrettern gezimmert. Das Dach war aus Wellblech. Und rund um die Hütte rankte sich ein Dickicht aus Brombeer- und Sanddornbüschen, sodass man sie vom Garten und vom Haus
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