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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte
Autoren: Ann Cleeves
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versunken, sein Haar, das sich wie Seegras knapp unter der Oberfläche wiegte. Den Körper sah sie kaum wegen der vielen Blumen, die auf dem duftenden Wasser trieben. Nur die Blüten, ohne Stiele und ohne Blätter. Julie sah die großen Margeriten, die immer auf den Kornfeldern blühten, als sie noch klein war. Sie sah verblühende Mohnblumen, deren rote Blütenblätter fast durchsichtig wirkten, und große, blaue Blüten, die sie schon oft in den Gärten im Dorf gesehen hatte, aber deren Namen sie nicht kannte.
    Sie musste wohl geschrien haben. Der Laut klang ihrfremd in den Ohren, als käme er von jemand anderem. Doch Laura schlief immer noch, Julie musste sie richtig wach schütteln. Schließlich schlug ihre Tochter die Augen auf, sah Julie groß an. Sie wirkte verängstigt, und Julie murmelte ganz automatisch, obwohl sie wusste, dass es gelogen war: «Schon gut, Schätzchen. Es ist ja alles gut. Aber du musst jetzt aufstehen.»
    Laura stieg aus dem Bett. Sie zitterte am ganzen Körper und schien noch gar nicht richtig wach zu sein. Julie legte den Arm um sie und drückte sie fest an sich, und so stolperten sie gemeinsam die Treppe hinunter.
    So standen sie auch kurz darauf eng umschlungen vor der Tür des Nachbarhauses, und ihr Schatten, den die Straßenlaternen an die Hauswand warfen, erinnerte Julie an zwei Leute bei einem dieser blödsinnigen Dreibeinrennen. Zwei betrunkene Studenten auf Kneipentour. Sie klingelte Sturm, bis oben das Licht anging, Schritte die Treppe herunterkamen und sie endlich jemandem von diesem Albtraum erzählen konnte.

KAPITEL ZWEI
    Felicity Calvert war irritiert, weil sie nur noch Sex im Kopf hatte. Irgendwann hatte sie im Wartezimmer beim Arzt in einer Zeitschrift gelesen, dass halbwüchsige Jungen angeblich alle sechs Minuten an Sex dachten. Das fand sie damals schwer vorstellbar. Wie konnten diese jungen Männer überhaupt noch ein normales Leben führen, im Unterricht aufpassen, ins Kino gehen, Fußball spielen, wenn sie ständig so abgelenkt waren? Und was war mit ihrem eigenen Sohn? Undenkbar, dass James, der da auf dem Fußbodenhockte und mit seinen Legosteinen spielte, in ein paar Jahren auch so besessen von dem Thema sein sollte. Inzwischen allerdings hielt sie einen Abstand von sechs Minuten zwischen einem erotischen Tagtraum und dem nächsten für eine recht großzügige Schätzung. Zumindest, was sie betraf. Seit einiger Zeit war sie sich bei allem, was sie tat, ihres Körpers und seiner Reaktionen bewusst, und dieses intensivere Empfinden war ihr im Alltag mal lästig, mal eine willkommene Abwechslung. Aber das gehörte sich doch nicht mehr in ihrem Alter. Es war, als würde man in Rot auf einer Beerdigung erscheinen.
    Sie war im Garten, um die ersten Erdbeeren zu pflücken. Vorsichtig hob sie das Netz ein wenig an und schob die Hand zwischen Maschen und Strohunterlage. Die Früchte waren noch klein, aber es waren immerhin genug für James zum Abendessen. Felicity steckte eine in den Mund. Sie war noch warm von der Sonne und zuckersüß. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es schon fast Zeit für den Schulbus war. In spätestens zehn Minuten musste sie sich die Hände waschen und zur Landstraße hinuntergehen, um ihren Sohn abzuholen. Sie machte das längst nicht mehr jeden Tag. Er fand, dass er schon groß genug war, um alleine nach Hause zu kommen, und damit hatte er natürlich recht. Doch heute hatte er seine Geige dabei und würde sich sicher freuen, wenn sie kam und ihm beim Tragen half. Einen Moment lang dachte sie darüber nach, ob der Bus heute wohl von dem älteren Mann gefahren würde oder von dem jüngeren mit den durchtrainierten Oberarmen und den ärmellosen Shirts. Dann schaute sie erneut auf die Uhr. Nur zwei Minuten seit dem letzten Gedanken an Sex. Wieder dachte sie sich, wie lächerlich das in ihrem Alter war.
    Felicity war siebenundvierzig. Sie hatte einen Ehemann und vier Kinder. Sie hatte sogar schon ein Enkelkind. UndPeter, ihr Mann, wurde in ein paar Tagen sechzig. Die Lust kam immer dann, wenn sie es gerade am wenigsten erwartete. Sie hatte Peter nichts davon erzählt. Wozu auch? Er war ja schließlich nicht das Objekt ihrer Begierde. Inzwischen schliefen sie nur noch selten miteinander.
    Sie richtete sich auf und ging über den Rasen zur Küche. Fox Mill, ihr Haus, stand auf dem Grundstück einer ehemaligen Wassermühle. Das große Haus war in den dreißiger Jahren erbaut worden, als küstennahes Feriendomizil eines Großstädters, der ein Boot
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