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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte
Autoren: Ann Cleeves
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man die Glatze sieht. Neulich habe ich ihn in derStadt gesehen und ihn erst gar nicht erkannt, inzwischen trägt er nämlich ein Toupet. Er war sogar ganz nett, hat mir einen Tee gemacht und alles. Aber er meinte, Luke hätte Verhaltensstörungen und sie wären sich nicht sicher, ob sie dort an der Schule noch mit ihm klarkämen. Ich war völlig mit den Nerven am Ende und habe angefangen zu heulen. Und dann habe ich ihm erzählt, was Mrs   Sullivan gesagt hat, dass Luke nämlich unzufrieden wäre und dass es vielleicht gar nicht so weit gekommen wäre, wenn sie sich früher darum bemüht hätten, ihm professionelle Hilfe zukommen zu lassen. Und Mr   Warrender gab nach, denn kurz danach kam Luke tatsächlich zum Psychologen in der Schule. Es wurden Tests gemacht, und danach hieß es, er hätte zwar Lernschwierigkeiten, aber mit etwas Hilfe könnte er doch auf der Schule bleiben. Und so war es dann auch.»
    Julie hielt wieder inne. Sie wollte der dicken Frau begreiflich machen, wie sie sich damals gefühlt hatte, wie erleichtert sie gewesen war zu erfahren, dass sie die Wutanfälle und die Stimmungsschwankungen ihres Sohnes nicht selbst verschuldet hatte. Darin zumindest hatte ihre Mutter sich getäuscht. Luke war eben einfach etwas Besonderes. Er war anders, immer schon anders, und es hatte nie in ihrer Macht gestanden, etwas daran zu ändern. Und die Polizistin schien zu verstehen, wie wichtig das für Julie gewesen war, denn schließlich sagte sie doch etwas.
    «Dann waren Sie also nicht allein.»
    «Sie können sich gar nicht vorstellen», sagte Julie, «wie gut mir das getan hat.»
    Die Frau nickte verständnisvoll. Aber wie sollte sie das begreifen können, wo sie doch selbst keine Kinder hatte? Wie konnte das überhaupt jemand begreifen, der selbst kein Kind mit Lernschwierigkeiten hatte?
    «Ich kam ganz gut damit klar, dass die Leute sich alle den Mund über uns zerrissen und die Mütter vor der Schule darüber tuschelten, dass Luke eine Sonderbetreuung bekam. Wenigstens musste ich jetzt nichts mehr verbergen Und die meisten waren auch sehr nett. Eine Aushilfslehrerin wurde extra dafür abgestellt, ihm zu helfen. Und Luke kam ganz gut mit. Er war natürlich kein Genie, aber er gab sich Mühe, er wurde besser im Lesen und Schreiben, und in manchem war er richtig gut. Zum Beispiel bei allem, was mit Computern zu tun hatte, da war er wahnsinnig schnell. Das waren gute Jahre. Laura ging inzwischen auch zur Schule, ich hatte wieder mehr Zeit für mich. Sogar eine Teilzeitstelle habe ich gefunden, im Altersheim bei uns im Dorf. Meine Freundinnen konnten nie verstehen, warum mir das so viel Spaß macht, aber ich finde es einfach toll. Wahrscheinlich, weil ich das Gefühl habe, gebraucht zu werden. Geoff hatte kein großes Interesse daran, die Kinder zu sehen, aber zumindest zahlte er regelmäßig Unterhalt. Wir konnten natürlich keine großen Sprünge machen, keine Urlaube, keine wilden Partys, aber wir kamen ganz gut zurecht.»
    «Es war aber sicher nicht leicht», sagte die Polizistin.
    «Nein», gab Julie zu. «Aber es ging schon. Mit Luke gab es erst wieder Ärger, als er die Schule wechseln musste. Die anderen Kinder haben schnell spitzgekriegt, was mit ihm los ist, und keine Gelegenheit ausgelassen, ihn zu hänseln. Ständig haben sie ihn zu irgendwelchen Streichen angestiftet. Und er wurde natürlich immer erwischt. Da hatte er schnell einen Ruf weg. Sie kennen so was bestimmt, das erlebt man doch immer wieder. Einmal kam sogar die Polizei und hat ihn beim Klauen auf einer Baustelle erwischt. Irgendwelche Plastikrohre. Weiß der Himmel, was er damit wollte. Jemand hatte ihm etwas Geld dafür versprochen,aber deshalb hat er es nicht gemacht: er wollte, dass die anderen ihn mögen. Sein ganzes Leben lang war er der Außenseiter. Er wollte Freunde.»
    Verständlich, dachte Julie. Sie wüsste ja selbst nicht, was sie ohne ihre Freundinnen anfangen sollte. Sie hatte sie angerufen, wenn es Ärger mit Geoff gab. Sie hatte ihre Sorgen um Luke mit ihnen geteilt, als er im Krankenhaus war. Und jedes Mal waren sie gleich mit einer Flasche Wein vorbeigekommen. Klar waren sie vor allem auf neuen Klatsch und Tratsch aus – aber sie waren trotzdem für sie da.
    «Einen guten Freund hatte er sogar», erzählte sie weiter. «Er hieß Thomas. Sie hatten sich kennengelernt, als Luke auf die neue Schule kam. Thomas war so ein richtiger kleiner Gauner. Er hatte immer Ärger mit der Polizei, aber wenn man seine Geschichte
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