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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte
Autoren: Ann Cleeves
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Kollegen am Institut und ihren Mangel an wissenschaftlicher Präzision, und andere Vogelkundler jagten in seinen Augen nur blindlings seltenen Vögeln hinterher, ohne zu erkennen, wie wichtig es war, das heimatliche Gebiet in seiner Gesamtheit zu erforschen. Felicity wusste, warum er so verbittert war, und wünschte ihm von ganzem Herzen, dass sein Talent doch noch Anerkennung fand. Wie wunderbar es doch wäre, wenn er praktisch vor der Haustür einen aufsehenerregend seltenen Vogel entdeckte oder innerhalb der Universität befördert würde. Trotzdem ärgerte sie sich über seine ständigen Klagen. Mitunter ertappte sie sich sogar bei der Überlegung, ob er tatsächlich der großartige Mann war, für den sie ihn hielt, als sie ihn geheiratet hatte. Doch dann sah sie ihn an, sah die Sorgen und die Traurigkeit in seinem Gesicht und kam sich illoyal vor. In solchen Momenten strich sie ihm dann mit einem Finger über die Wange oder gab ihm mitten im Satz einen Kuss und entlockte ihm damit ein überraschtes Strahlen, das ihn gleich zwanzig Jahre jünger aussehen ließ.
    «Wann kommen die anderen?» Seine Frage riss sie aus ihren Gedanken. Er schien sich zu freuen. Die schlechte Laune war anscheinend schon fast wieder verflogen. Manchmal hatte Felicity das Gefühl, dass er sich auf seine Freunde viel mehr freute als auf sie. So aufgeregt war er ihretwegen schon lange nicht mehr gewesen.
    Sie hatte gerade an Lily Marsh gedacht, die junge Referendarin, und sich gefragt, ob sie das Mietangebot wohl annehmen würde. Im Nachhinein erst war ihr aufgefallen, dass sie gar nicht über Geld geredet hatten. Vielleicht war Lily ja deswegen so überstürzt verschwunden. Vielleichthatte sie angesichts des hübschen, wenn auch recht einfachen Gartenhäuschens geglaubt, sich die Miete ohnehin nicht leisten zu können. Schließlich studierte sie ja noch. Felicity überlegte, ob sie James einen Brief mit in die Schule geben sollte, eine freundliche und doch klare Mitteilung, wie hoch der Mietpreis sein würde. Sie war gerade dabei gewesen, diesen Brief im Kopf zu formulieren, als Peter seine Frage stellte.
    Peters Geburtstagsessen: ein Ritual. Jedes Jahr wurden dieselben drei Freunde dazu eingeladen. «Ich habe ihnen gesagt, dass wir um acht essen und vorher noch zum Leuchtturm gehen können.» Der Spaziergang zum Leuchtturm war ebenfalls Teil des Rituals.
    Felicity hörte den Postwagen draußen, und gleich darauf fielen ein paar Umschläge durch den Briefschlitz auf den Dielenboden. Sie überließ Peter seinem Toast und stand auf, um die Post zu holen. Alle Briefe waren für ihn. Auf dreien der Umschläge erkannte sie die Schrift ihrer Kinder. Sie legte ihm die Briefe auf den Küchentisch, und er schob sie ungeöffnet in seine Aktentasche. Das machte er immer so: Seine Post öffnete er grundsätzlich erst im Büro. Früher hatte Felicity sich manchmal gefragt, ob er wohl etwas zu verheimlichen habe, hatte sich eine zweite Ehefrau ausgemalt, eine heimliche zweite Familie. Doch es war einfach nur Gewohnheit. Er dachte gar nicht weiter darüber nach.
    Jetzt schloss er die Aktentasche und stand auf. Peter hatte James versprochen, ihn bis zur Bushaltestelle vorn an der Straße mitzunehmen, und rief die Treppe hoch, er solle sich beeilen. Es gab etliche Taschen zu verstauen, und in der ganzen Aufregung wurde fast noch das Pausenbrot vergessen. Und Felicity hatte nun doch keinen Brief mehr an Lily Marsh geschrieben. Fast hätte sie James, der bereits zum Auto trottete, hinterhergerufen:
Sag Miss Marsh, sie soll
mich wegen des Gartenhauses anrufen
. Doch dann hätte Peter bestimmt wissen wollen, worum es dabei ging, und sie konnte ihn nicht noch länger aufhalten. Außerdem wäre er mit Sicherheit gleich dagegen. Sie musste ihm von dem Plan in einem weniger angespannten Moment erzählen, und so verbannte sie Lily Marsh einstweilen aus ihren Gedanken. Schließlich fuhr der Wagen los, und es war wunderbar still im Haus.
    Felicity machte sich noch einen Kaffee und schrieb ihre Einkaufsliste für den Bauernladen. Sie hatte die Mahlzeiten für das Wochenende bereits ganz genau geplant. Selbstverständlich gab es einen Kuchen, der bereits gebacken und glasiert war. Ein Jammer, dass die drei älteren Kinder alle zu weit weg wohnten und nichts davon haben würden. Für den heutigen Abend hatte sie eigentlich ein provençalisches Rindsragout vorbereitet, dunkel und üppig, mit Oliven und Rotwein geschmort. Es stand bereits in der Speisekammer und brauchte
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