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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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kam.
    Schließlich, Amelie hatte noch zehn Meter zum Boden, sah sie Niedermüller am Seil hängen und über ihm Hartmann nach draußen steigen, während Mertel und Hermann Klangfärber sich übers Fensterbrett beugten, ihm halfen und Amelie Zeichen gaben und ihr zuriefen, sich zu beeilen.
    Rettung lag in der Luft.
    Aber irgendwas sprach dagegen.
    Den Gesteinsbrocken, die auch auf dieser Seite der Burg herabregneten, aber Amelie zum Großteil verfehlten, folgte nach einer kurzen Beruhigung der erdbebenartigen Erschütterung nach der Explosion ein kratzendes Geräusch, das klang, als würden ganze Erdplatten zerbersten.
    Was Amelie da hörte, war das Auseinanderschnappen und Abkippen des Steilüberhangs über dem Steinbruch. Die Felsmassen des halben Berges stürzen fast 100 Meter in die Tiefe und schlugen mit einer Gewalt auf, dass es klang wie ein Meteoriteneinschlag. Aber das war erst der Auftakt des Infernos.
    Innerhalb von Sekunden brach der gesamte Berg entzwei, und die Hälfte, die sich vom Gipfel löste, donnerte auf der Stadtseite zu Tal, erreichte Brehm, der da noch immer mit geschulterter Panzerfaust stand und einfach nur starrte, als 50 Meter hoher Gesteins-Tsunami und beendete seine Existenz und die der Monster, die ihn fast erreicht hatten, im Bruchteil von Sekunden.
    Amelie sah, nur noch wenige Meter über dem Boden hängend, ein Randereignis dieser menschengemachten Naturkatastrophe, aber was sie da sah, war schlimm genug, sie an den Weltuntergang glauben zu lassen. Über ihr hingen nun alle vier Männer am Seil, das in der Verstrebung des Fensters fixiert war. Das Fenster wiederum klaffte in der Mitte einer riesenhohen und breiten Burgmauer.
    Die Burgmauer war da – und von einer Sekunde zur nächsten nicht mehr. Die gesamte Anlage verschwand urplötzlich und in einem Stück in einem gigantischen Krater, der sich auf der jenseitigen Berglinie auftat. Der Bergrand auf Amelies Seite blieb stehen als letzte Ruine des einstigen Massivs, aber der Einsturz betraf sie trotzdem, denn mit der Burg wurde das Fenster auf der anderen Talseite in den Krater gerissen, die Fensterverstrebung und damit natürlich auch das verknotete Seil.
    Schon knapp über dem Boden angekommen, legte Amelie, da sie sich angesichts der Erschütterung nicht nur an das Seil geklammert, sondern regelrecht darum gewunden hatte, eine Art Raketenstart hin, der sie dahin zurückbeförderte, wo sie zuvor ausgestiegen war. Bloß gab es da kein Fenster mehr, keine Mauer – und keine Männer.
    Sie begriff, dass ihre letzten Kameraden vom Berg gefressen worden waren und dass ihr das selbe Schicksal blühte, schaffte es, sich vom Seil zu befreien, loszulassen und erhaschte, in der Luft stehend, einen ultrakurzen Blick über den Rand auf einen Mondkrater unvorstellbaren Ausmaßes; da übernahm die Schwerkraft die Gegenwirkung der Gewalt, die sie in die Luft gerissen hatte, und Amelie stürzte wie ein Stein über 60 Meter tief in Richtung Kloster auf eine felsige, steil abwärts führende und von Natur aus zerklüftete Berglandschaft zu.
     
    Sie wusste nicht, ob sie Wiccas und Hermanns Erbe aus mit allen Schmerzen verbundener Verletzlichkeit und Unsterblichkeit verfluchen oder preisen sollte, als sie am Boden aufschlug. Kein gnädiger Tod rettete sie vor den Qualen eines zerschmetterten Körpers, keine Ohnmacht und nicht mal ein kurzer Bewusstseinsverlust. Sie hatte es durchzustehen, bis alles zusammengewachsen war und die verletzten Nerven aufhörten, Alarm zu schreien. Es dauerte die ganze Nacht.
    Am nächsten Morgen barg sie die zerstörten Reste des bunten Gegenstandes, den Hartmann ihr zugesteckt hatte, aus ihrer Jeanstasche, vermutete, es war Wiccas Babyphone und damit Hartmanns Projekt, Kontakt zu einer anderen Überlebendengruppe herzustellen. Sie hätte es ohnehin nicht getan, denn als das, was sie war, konnte sie sich verängstigten Sterblichen nicht zumuten.
    So strandete sie, sich den normalen Ängsten und Sehnsüchten einer Frau ihres körperlichen Alterungsgrades bewusst, in einer Welt, in der sie niemanden kannte, nicht wusste wohin und was anfangen. Sie war sich sicher, dass nicht alle Zombies, nicht alle Monster und vielleicht nicht einmal alle Menschen des Umkreises bei der Katastrophe draufgegangen waren, aber hatte nicht das geringste Bedürfnis, nach Überlebenden zu suchen.
    Marias Wunsch, in die Welt hinaus zu ziehen, fiel ihr ein. Und der Wunsch, Ronan Bergenstrohs, seine Seele aus dem Gefängnis der Materie zu befreien.
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