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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht
Autoren: Marcia Muller
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hinter mir pfiff und gurgelte die Kaffeemaschine. Einen
Augenblick lang überlegte ich, ob Jim — dieser neue, zornige Jim, den ich nicht
kannte — zu Gewalttätigkeit neigte. Aber taten wir das nicht alle? Ich mußte
abwarten und sehen, wie die Sache weiterging. Mit diesen wenig ermutigenden
Gedanken machte ich mich auf den Weg zur Dusche.
    Während ich mir die Haare wusch, fiel
mir der Traum wieder ein. Ich war losgefahren, um Hank in der Wohnung seines
Klienten im Bezirk von Inner Richmond zu treffen. Aber nachdem ich die Buena
Vista Heights hinauf- und nach Haight-Ashbury hinuntergefahren war, stellte ich
fest, daß die Stanyan, die Straße, die in nördlicher Richtung am
Golden-Gate-Park entlang verlief, verschwunden war. In meiner Verwirrung bog
ich einige Male ab, fuhr durch mir unbekannte Gegenden und landete schließlich
wieder oben an meinem Ausgangspunkt. Immer wieder fuhr ich nach Haight
hinunter. Immer wieder fand ich keine Spur von der Stanyan Street.
    Solch frustrierende Träume — ständiges
Verwählen beim Telefonieren; ein Flugzeug verpassen, weil man mit dem Packen
nicht fertig wird — waren mir nicht neu. Ich hatte vor kurzem ein Taschenbuch
über dieses Thema gelesen und erfahren, daß dies ein Zeichen von
Unentschlossenheit ist, daß der Träumer sich nicht sicher ist, ob er sein Ziel
erreichen, den Telefonanruf machen oder die Reise unternehmen will. Wenngleich
die vor mir liegende Aufgabe nicht gerade erfreulich war, verstand ich in
diesem Fall meine gemischten Gefühle nicht so recht. Auch war mir nicht klar,
warum mir der Traum auf so unangenehme Weise nachging.
    Abergläubisch drückte ich mir selbst
meine vom Shampoo glitschigen Daumen und hoffte, der Traum möge kein schlechtes
Omen sein.
     
    Bis neun Uhr — nach drei Tassen Kaffee
und dem Kreuzworträtsel im Chronicle — hatte sich meine Laune etwas
gebessert. Als ich gegen halb zehn Inner Richmond erreichte (und die Stanyan
Street immer noch da war), war ich ganz guter Dinge.
    Richmond ist ein solides Viertel der
Mittelschicht auf der Nordwestseite des Golden-Gate-Parks. Es besteht hauptsächlich
aus Einfamilienhäusern und eng beieinanderliegenden Wohnblocks. Einst lebten
hier zahlreiche Mitglieder der russischen und irischen Gemeinden der Stadt,
aber in den letzten Jahrzehnten ist es zu einer beliebten Wohngegend für
aufstrebende Asiaten geworden. Noch gibt es zwar die katholischen Kirchen, die
irischen Pubs und die russisch-orthodoxe Kirche am Geary Boulevard, doch die
neuen Bewohner haben überall ihre Spuren hinterlassen.
    Während ich die Clement Street, die
belebte Einkaufsstraße des Viertels, hinunterfuhr, entdeckte ich zwischen zwei
Querstraßen acht asiatische Restaurants: zwei thailändische, ein japanisches,
ein burmesisches, zwei vietnamesische und drei verschiedene Arten von
chinesischen Gaststätten. Gemüsestände mit Kisten voller Bok Choy und
Daikon-Rettichen, Lebensmittelläden mit geräucherten Enten und gegrillten
Schweinerippchen in der Auslage, Banken und Versicherungen, deren Schilder
neben englischen Lettern auch verschiedene asiatische Schriftzeichen trugen — all
dies fand sich neben solch althergebrachten Einrichtungen wie dem
Green-Apple-Buchladen, Churchill’s Pub, Woolworth und den Busvan-Billigmöbeln.
Acht von zehn Gesichtern — die gleiche ethnische Mischung wie bei den
Restaurants — gehörten Asiaten aller Altersgruppen — von gebeugten Alten mit
Einkaufswagen bis zu jungen Paaren, die japanischen Sportwagen entstiegen.
Clement Street war in meinen Augen die vollkommene Verkörperung der sich
wandelnden Kulturenmischung in San Francisco.
    Leider ist diese Straße aber auch eines
der schlimmsten Beispiele für die Verkehrs- und Parkprobleme der Stadt. Die
Gegend wurde zu einer Zeit bebaut, als niemand ahnen konnte, wie viele Menschen
und Autos es hier einmal geben würde. Und so fehlt es an Parkplätzen und
Garagen. Selbst zu dieser verhältnismäßig frühen Stunde waren alle Parkuhren
besetzt, Lieferwagen standen in zweiter Reihe. Die Autos fuhren langsam, weil
die Fahrer mit einem Auge nach eventuellen Parkmöglichkeiten am Straßenrand
Ausschau hielten; andere Fahrer drehten wutentbrannt um, überfuhren
Stoppschilder und gefährdeten Fußgänger auf den Zebrastreifen. Ich atmete die
Abgase eines Stadtbusses ein, der seine Fahrgäste aussteigen ließ, und
trommelte mit meinen Fingern ungeduldig auf das Lenkrad. Im Geiste dankte ich
Hank dafür, daß er daran gedacht hatte, mir zu
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