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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen
Autoren: B Akunin
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Wand gekippt und zu Boden gerutscht war. Er wollte die Hand mit dem Revolver heben, doch sie gehorchte ihm nicht.
    Ein Kick von Julies Stiefelchen schleuderte den Colt zur Seite.
    »Bravo, Mädchen«, sagte Posharski. »Du bist ein Filou. Ich habe schon versucht, Zeit zu schinden, doch es hat nicht gelangt. Draußen warten meine Leute, ich habe ihnen gesagt, wenn ich nach zehn Minuten nicht zurück bin, sollen sie die Bude stürmen. Der hätte mich doch glatt vorher kaltgemacht.«
    Rauschen in Grins Ohren, dazu ein Heulton. Das Zimmer neigte sich nach rechts, dann wieder nach links. Unklar, wie die zwei Männer, die jetzt hereingestürmt kamen, sich auf den Beinen hielten.
    »Ihr habt den Schuß gehört, was?« fragte der Polizeipräsident. »Gut aufgepaßt. Den da habe ich umgelegt, er krepiert gerade. Die Frau überlasse ich euch. Das ist Nadel, die gesuchte. Kein Pardon, sie weiß zuviel.«
    Das Licht wurde weniger. Mit Posharskis Gesicht vor Augen aus dem Leben zu schlittern – das durfte nicht sein.
    Grin ließ den erlöschenden Blick durch das Zimmer gehen, auf der Suche nach Nadel. Da stand sie, die Hände aneinandergelegt, sah ihn schweigend an, nur den Ausdruck ihrer Augen konnte er nicht mehr erkennen.
    Doch was schimmerte da zwischen ihren Fingern, schlank und hell?
    Ein Zünder, jawohl, Grin ahnte es, nein, er wußte: Es war ein Zünder.
    Jetzt wandte sich Nadel nach dem Gefäß mit der Sprenggelatine um. Jetzt brach sie das Glasröhrchen über ihm entzwei.
    Und das Leben endete, wie es sich gehörte: mit einem Blitzschlag.

EPILOG
     
    An der »Kutafja«, dem dicken Brückenturm zum Kreml, mußte er den Kutscher entlassen und den Rest des Weges zu Fuß gehen. Während in der Stadt von der neuen Ordnung einstweilen nicht viel zu merken war, herrschten hier gänzlich neue Sitten: Es ging strenger und kultivierter zu, überall Wachen, und das Pflaster wurde tagtäglich von Eis und Schnee befreit, man gelangte mit dem Schlitten gar nicht näher heran. Das kam daher, weil sich die Regierungsgewalt im Kreml etabliert hatte – das neue Stadtoberhaupt fand es unter seiner Würde, in der angestammten Residenz des Generalgouverneurs zu wohnen, und war hinter die hohen Backsteinmauern in den Kleinen Nikolauspalast gezogen.
    Fandorin lief, eine Hand am Degen, die andere den Dreispitz haltend, die Troizki-Brücke hinauf. Dies war ein feierlicher Tag: Die Moskauer Beamtenschaft machte Seiner Hoheit zum Amtsantritt ihre Aufwartung.
    Während der alte Fürst Dolgorukoi bereits den Ruhesitz im ungeliebten Nizza bezogen hatte, zeichneten sich im Leben seiner ehemaligen Untergebenen tiefgreifende Veränderungen ab. Die einen würden befördert, die anderen versetzt werden, manche wohl auch ganz entlassen. Ein erfahrener Beamter konnte aus der für ihn oder seine Behörde angesetzten Empfangszeit schon Schlüsse ziehen. Es galt die Faustregel: je früher, desto besorgniserregender. Denn daßein neuer Besen schwungvoll und kräftig zu kehren anhebt, weiß ein jeder. Zuvörderst ist Strenge angesagt. Darin liegt ein doppelter Sinn: So jagt man denen, die danach kommen, ein bißchen Angst ein, damit sie den nötigen Respekt gewinnen, und kann doch auf Strafe Milde folgen lassen. Und ohnehin war es seit langem Usus, daß man die gemeineren Behörden – Kreisämter, Katasteramt, Waisenfürsorgeamt und diverse unbedeutende Departements – zuerst antanzen ließ, während man sich die wirklich wichtigen Stellen für den Schluß aufhob.
    Daran gemessen, durfte Staatsrat Fandorin sich als hochrangige, mit Aufmerksamkeit gesegnete Person sehen. Denn er war als Letzter, als wirklich Allerletzter gebeten, unter die Augen des Großfürsten zu treten, um halb sechs Uhr nachmittags, noch nach den Oberkommandierenden des Militärbezirks und den ranghöchsten Gendarmen. Diese Auszeichnung konnte freilich immer noch alles mögliche bedeuten, Gutes wie Arges, weshalb Fandorin sich nicht gern in müßigen Spekulationen verlor und beschloß, voll und ganz dem Schicksal zu vertrauen. Geschrieben steht: Der Edle empfängt Groll und Gnade seiner Vorgesetzten mit gleicher Würde.
    Vor den Mauern des Tschudow-Klosters lief ihm Oberleutnant Smoljaninow in die Arme – auch er in Paradeuniform, die Röte in seinem Gesicht noch ausgeprägter als sonst.
    »Guten Tag, Herr Staatsrat!« rief er freudig. »Auch zum Antrittsbesuch? Sie sind ja spät dran! Das kann nur den Aufstieg bedeuten.«
    Fandorin zuckte leicht die Schultern.
    »War Ihre
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