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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen
Autoren: B Akunin
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würden.
    »Na?«
    »Gut«, sagte Fandorin leise. »Wenn du es möchtest, sch-schweige ich.«
    »Das ist reizend von dir«, sagte der Fürst mit triumphalem Lächeln und schaute auf die Uhr. »Wir haben die zehn Minuten gar nicht gebraucht, fünf waren genug. Und was das Spiel angeht, so kannst du es dir ja noch überlegen. Verbirg deinen Zentner nicht in der Erde wie der böse und faule Knecht bei Matthäus. Denn der Herr zürnt ihm.«
    Mit diesen Worten begab sich der Polizeipräsident zur Tür.
    Fandorin zuckte. Hatte den Mund schon geöffnet, den Fürsten am Gehen zu hindern. Doch anstelle eines Rufes fielen von seinen Lippen nur geflüsterte Worte:
    »Ein Übel schafft das andre aus der Welt …«

SECHZEHNTES KAPITEL
    Der Blitz
    Auf Posharskis Hinrichtung mußte der Rückzug folgen. Grin wußte auch schon, wie: mit einem Fuhrwerk bis Bogorodskoje, dort Skier besorgen und durch den Wald von Lossiny Ostrow, um die Straßensperre zu umgehen, dann auf die Poststraße nach Jaroslawl. Man mußte nur aus Moskau herauskommen, das Weitere war einfach.
    Leid tat es ihm um die umsonst verrichtete Arbeit. Die Bomben würden sie einmal mehr zurücklassen müssen; das Glas Sprenggelatine war noch halbvoll, etliche Dosen standen fertig bestückt, mit Zünder versehen und mit Schrapnells gefüllt, nur noch unverschlossen. Aber es wäre sowieso überflüssiger Ballast.
    Im Köfferchen lag nur das Allernötigste: falsche Papiere, Wäsche zum Wechseln, ein zweiter Revolver.
    Nadel sah zum Fenster hinaus auf das vernagelte Palais. In wenigen Minuten würde sie das Haus verlassen, in dem sie aufgewachsen war. Wahrscheinlich für immer.
    Bevor Julie zum zweiten Mal im Polizeipräsidium anrief, fragte sie, Grins Blick suchend: »Versprichst du, daß du mich nicht umbringen wirst?«
    »Nur wenn er wirklich kommt.«
    Sie bekreuzigte sich und wählte. »Hallo, ist dort das Fernamt? Vierundvierzig zweiundzwanzig.«
    Diesmal war Posharski da.
    »Gleb«, begann Julie mit vor Aufregung versagender Stimme, »Liebster, du mußt herkommen, ganz schnell! Ich hab bloß einen Moment, mehr kann ich dir jetzt nicht erklären! Pretschistenka, Palais Dobrinski, der Seitenflügel mit Mezzanin, nicht zu übersehen. Aber komm bitte ganz allein, hörst du. Ich mach dir auf. Du ahnst ja nicht, was ich hier für dich habe! Wirst mir die Füße küssen. Bis dann. Ich muß Schluß machen!«
    Sie hängte ein und verkündete mit Gewißheit: »Er kommt! Geflogen! Ich kenne ihn.« Sie ergriff Grins Hand, ihre Stimme wurde flehend. »Grin, du hast mir dein Wort gegeben. Was habt ihr mit mir vor?«
    »Mein Wort gilt.« Er riß sich angewidert los. »Du wirst ihm beim Sterben zusehen. Dann bist du frei. Soll die Partei über dich entscheiden. Das Urteil dürfte feststehen. Du wirst für vogelfrei erklärt. Jeder, der dich sieht, muß dich liquidieren, wie ein tollwütiges Stück Vieh. Dir bleibt nichts, als ans Ende der Welt zu fliehen und in eine Ritze zu kriechen.«
    »Das macht nichts«, sagte Julie leichthin und zuckte die Achseln. »Männer gibt es überall. Ich geh schon nicht unter. Hab immer davon geträumt, die Neue Welt zu sehen.«
    Sie tat vollkommen gelassen. Ihr Blick wanderte von Grin zu Nadel, dabei seufzte sie mitfühlend.
    »Ach, ihr Ärmsten … Laßt doch diesen Unsinn endlich sein. Sie liebt dich, Grin, das sehe ich doch. Und du sie genauso. Ihr könntet froh sein über so viel Glück und euch ein schönes Leben machen. Immer nur Mord und Totschlag, das muß doch mal ein Ende haben. Davon wird sowieso nichts besser.«
    Grin schwieg, er war mit den Gedanken bei der bevorstehendenAktion, und zu diskutieren lohnte ohnehin nicht. Nadel aber, zwischen Abscheu und Fassungslosigkeit schwankend, konnte nicht an sich halten.
    »Hören Sie bloß auf, von Liebe zu reden. Sonst erschieße
ich
Sie.
Mein
Ehrenwort haben Sie nicht.«
    Solange Nadel keinen Revolver in Händen hielt, ließ Julie sich von ihr nicht einschüchtern.
    »Verachten Sie mich, weil ich nicht gewillt war, für Gleb in den Tod zu gehen? Das sollten Sie nicht. Es war kein Verrat an meiner Liebe. Ich hab auf mein Herz gehört. Hätte es zu mir gesagt: stirb! – ich wäre gestorben. Doch es hat gesagt: Es gibt ein Leben ohne Gleb. Vor anderen kann ich mich gut verstellen, vor mir selber nicht.«
    »Ihr Herz wäre zu keiner anderen Aussage fähig gewesen«, erwiderte Nadel haßerfüllt.
    Mehr mochte Grin davon nicht hören. Er ging hinaus auf den Flur und von da in die Küche, trat ans
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