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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin
Autoren: Petra Durst-Benning
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PROLOG
    St. Petersburg, Sommer 1863
    W ie so oft, wenn sie böse gewesen war, hatte sich Wera in eines ihrer Lieblingsverstecke verkrochen, eine kleine Kammer, die zwischen dem Blauen Salon und dem Musikzimmer lag. Außer defekten Musikinstrumenten, zerfledderten Notenblättern und Stapeln ausrangierter Bücher wurden hier noch die schweren Samtvorhänge aufbewahrt, die man im Winter vor die Fenster der oberen Etage hängte, um die Kälte draußen zu halten. Wera liebte diese Kammer, die nach Mottenkugeln und altem Papier roch.
    Sie drückte ihr rechtes Auge an die Ritze in der Wand zum Blauen Salon. Sie wollte nicht nur hören, was ihre Eltern redeten. Sie wollte sie auch sehen!
    Eigentlich hatte sie erwartet, dass ihre Mutter dem Vater wieder einmal ihr Leid klagen würde, ein so böses Kind wie Wera zu haben. Doch bisher war ihr Name nicht gefallen. Vielmehr schien es um ihre ältere Schwester zu gehen. Das war ungewöhnlich! Voller Neugier rutschte Wera noch näher an den Sehschlitz heran.
    »Unsere Olgata und der König von Griechenland. Liebe auf den ersten Blick. So viele Parallelen zu unserer eigenen Geschichte – Kosty, das muss doch etwas Gutes bedeuten!« Noch während sie sprach, schlang die Mutter ihre Arme um Vaters Hals. »Auch bei uns erwachte einst die Liebe im Kinderzimmer. Auch bei uns war es Liebe auf den ersten Blick. Und nun scheint der griechische König ebenso zu fühlen – ist das nicht romantisch? Wir müssen alles tun,um unserer Olgata die Chance auf die große Liebe zu ermöglichen!«
    Parallelen? Romantisch? Warum wurde Mutters Stimme immer so heiser, wenn sie von Liebesdingen sprach?
    Eine Woge Sehnsucht durchflutete Wera, als sie die zärtliche Umarmung ihrer Eltern sah. Wie schön musste es sein, Mutters Arme so um sich zu spüren! Aber als sie, Wera, am frühen Abend wegen der kaputten Vase bei ihr um Entschuldigung bitten wollte, hatte ihre Mutter sie von sich gestoßen und gezischt: »Du bist und bleibst ein böses Kind!«
    Böse. Immer war sie böse. Wera nahm einen der ausgemusterten Notenbögen und begann, ihn in kleine Schnipsel zu rupfen.
    Böse. Böse. Böse.
    Als die Stimme ihres Vaters erneut ertönte, hielt sie inne und legte ihr Auge wieder an die Ritze in der Wand.
    »Was heute Nachmittag geschah, ist unentschuldbar. Die Gouvernante kann ihre Sachen packen. Gleich morgen früh!«, sagte ihr Vater, und seine Augen glänzten eisig.
    Die Mutter winkte ab. »Es ist nicht die Gouvernante, die unsere Olgata verdirbt. Du weißt ganz genau, dass unser Problem woanders liegt.«
    Der abgrundtiefe Seufzer ihrer Mutter ließ Wera zusammenzucken. Ein Gefühl von Panik durchströmte sie. Wenn ihre Mutter so seufzte, ging es meistens um sie!
    »Ich frage mich wirklich, wie aus Olgata jemals eine feine junge Dame werden soll. Dass sie die Nichte des Zaren ist, reicht als Garant für eine gute Partie allein nicht aus. Aber all unsere Bemühungen in puncto Erziehung, Bildung und Manieren werden doch zunichtegemacht, solange sie mit … ihrer Schwester zusammen ist. Kosty, so kann es einfach nicht weitergehen!«
    »Und was erwartest du von mir? Soll ich mich jetzt auch noch um die Kindererziehung kümmern? Habe ich nicht genug um die Ohren?«
    »Wie du das sagst! Als ob ich nicht mein Bestes gegeben hätte. Als ob wir nicht alle unser Bestes gegeben hätten. Aber was Wera angeht,sind wir mit unserem Latein am Ende, verstehst du das denn nicht?«
    Ihre Mutter war wütend. Erst sorgte sie sich, dass aus Olgata keine feine Dame werden würde, und gleich darauf sprach sie wieder von ihr.
    Der Vater nickte. »Die ganze Angelegenheit wird langsam peinlich. Ich möchte mir nicht vorstellen, was geschieht, wenn die heutige Szene zu Sascha durchdringt. Familiäre Probleme sind meinem Bruderherz ein Gräuel, das weißt du so gut wie ich. Nicht, dass ich ihm das verübeln würde! Als russischer Kaiser hat er weiß Gott genügend andere Probleme, da müssen wir ihm das Leben nicht noch unnötig schwermachen. Sanny, meine Liebe, allmählich glaube ich auch, dass wir handeln müssen.«
    Das ungute Gefühl in Weras Bauch verstärkte sich. Bedeutete das etwa noch mehr ärztliche Untersuchungen für sie? Natürlich wollte auch sie gern wissen, warum sie immer so böse war. Unwillkürlich tastete Wera ihren Kopf ab. Eigentlich fühlte er sich ganz normal an, aber das konnte nicht sein, denn alle behaupteten das Gegenteil.
    »Das Kind muss fort!«
    »Du meinst … in eine Anstalt?«
    »Nicht zwingend.
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