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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen
Autoren: B Akunin
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Dienststelle denn schon an der Reihe?« fragte er höflich. »Wie ist es gelaufen?«
    »Bei der Geheimpolizei gibt es Überraschungen. Mylnikow bleibt auf seinem alten Posten, Subzow wird der neue Chef. Als Titularrat, das muß man sich vorstellen! Uns in der Gendarmerie haben sie einen aus Petersburg vor die Nase gesetzt. Aber mir ist das schnuppe. Ich reiche meine Versetzung ein. Vom Gendarmeriekorps zu den Dragonern. Das habe ich nun endgültig beschlossen.«
    Fandorins Verwunderung darüber war nicht groß, dennoch fragte er: »Wie das?«
    »Mir hat mißfallen, wie Seine Hoheit über die Aufgaben der Staatspolizei sprach!« erklärte der Oberleutnant hitzig. »›Sie, meine Herren, haben den Einwohnern dieser Stadt Furcht und Respekt vor der Macht einzuflößen!‹ sagte er. ›Sie haben jedwedes Unkraut beizeiten zu erkennen und gnadenlos auszurupfen, zur Abschreckung und Entmutigung aller. Der bloße Anblick Ihrer blauen Uniform muß den Normalbürger zur Salzsäule erstarren lassen. Wir müssen das Fundament des russischen Staatswesens festigen, sonst werden Nihilismus und Anarchie es endgültig untergraben.‹«
    »Vielleicht hat er ja nicht so unrecht damit?« wandte Fandorin vorsichtig ein.
    »Kann schon sein. Aber die Vorstellung, daß mein Anblick irgendwen zur Salzsäule erstarren lassen soll, ist mir äußerst unangenehm!« Smoljaninow zupfte zornig am Portepee seines Säbels. »Mir wurde beigebracht, wir seien dazu da, Gesetzlosigkeit und Willkür einen Riegel vorzuschieben, die Rechte der Schwächeren zu verteidigen. Das Gendarmeriekorps sei das blütenweiße Taschentuch, mit dem die Mächtigen den Leidenden die Tränen trocknen – so hat es einmal geheißen!«
    Teilnahmsvoll wiegte der Staatsrat sein Haupt.
    »Aber Sie w-werden es nicht leicht haben bei der Armee. Man weiß doch, was die Offiziere dort von den Gendarmen halten.«
    »Das ist mir egal!« Der rotbäckige Offizier schüttelte störrisch den Kopf . »Anfangs wird man mich von oben herab behandeln, das ist mir klar, aber irgendwann werden sie es schon mitbekommen, daß ich kein Federfuchser bin. Ich beiße mich durch.«
    »Dessen bin ich mir sicher.«
    Fandorin sagte dem widerspenstigen Adjutanten Lebewohl und mußte kräftig ausschreiten, denn bis zum anberaumten Zeitpunkt blieben weniger als zehn Minuten.
     
    Die Audienz fand nicht im Kabinett des Großfürsten, sondern im Festsalon statt – wohl damit den einbestellten Bediensteten die historische Größe des Augenblicks gebührend aufging. Pünktlich um halb sechs öffneten zwei hochnäsige Lakaien in Lockenperücken die Flügel der großen Tür, der Haushofmeister mit dem goldenen Stab durchschritt sie als erster und verkündete lauthals: »Seine Hochgeboren, Staatsrat Fandorin.«
    Auf der Schwelle tat Fandorin zunächst eine tiefe Verbeugung und erlaubte sich erst dann, dem leiblichen Bruder des Zaren ins Gesicht zu sehen. Großfürst Simeon Alexandrowitsch hatte auffallend wenig Ähnlichkeit mit seinem stiernackigen Bruder: Schlank und gut gebaut, mit länglichem, blasiertem Gesicht, Spitzbärtchen und Pomade im Haar, ließ er viel eher an einen Habsburger Prinz zu Velázquez’ Zeiten denken.
    »Grüß dich, Fandorin. Tritt näher!« sprach Seine Hoheit ihn an.
    Wohl wissend, daß das Du von seiten eines Mitglieds der Zarenfamilie dem Untergebenen als Zeichen der Anerkennung zu gelten hatte, verzog Fandorin dennoch kurz das Gesicht. Er trat vor den Großfürsten hin, drückte ihm die gepflegte weiße Hand.
    »So also siehst du aus«, sagte Simeon Alexandrowitsch und musterte den feschen Kriminalbeamten mit beifälligem Interesse. »Posharski hat dich in seinen Berichten stets mit Lob überhäuft. Was für eine Tragödie, daß er tot ist. Ein derart fähiger Mann. Mir und dem Throne so selbstlos ergeben.«
    Der Generalgouverneur schlug ein Kreuz; Fandorin zeigte keine Anstalten, es ihm nachzutun.
    »Erlauben Eure Kaiserliche Hoheit, daß ich Sie über die M-m-… Machenschaften des Fürsten Posharski in der Angelegenheit Kampfgruppe in Kenntnis setze. Ich erstellte hierzu bereits einen Rapport an den Innenminister, worin detailliert dargelegt ist, in welcher Weise …«
    »Hab ich gelesen«, fiel der Großfürst ihm ins Wort. »Der Minister hielt es für geraten, deine Darlegungen an mich, den Moskauer Generalgouverneur, weiterzuleiten. Mit der handschriftlichen Anmerkung:
Reine Hirngespinste! Gefährlich außerdem.
Freilich habe ich den seligen Posharski viel zu gut gekannt, um
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