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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber
Autoren: Heinrich Steinfest
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Sirenen der Krankenwagen zu vernehmen, als würden einem die Sanitäter entgegenjubeln. Auf dem Dach landete ein Hubschrauber, wozu auch immer. Das Ganze drohte zu einer Art Übung auszuarten. Gut, das Imperial war sozusagen internationales Territorium, der Blick der Welt lastete auf Wien, und man konnte zeigen, daß man hier nicht mit Fiakern zum Einsatz fuhr. Was übrigens eine hübsche Idee gewesen wäre, zu der zumindest das Staatsoberhaupt, welches eben eintraf, sich hätte hinreißen lassen dürfen.
    Oberst Stock und der Sicherheitsdirektor Marquardt waren zu Lilli Steinbeck vorgedrungen und sahen hinunter auf Wedekind, der es hinter sich hatte, während auf sie selbst eine Menge Arbeit wartete. Öffentlichkeitsarbeit, die ja immer stärker zum – wie der Akademiker Marquardt zu sagen pflegte – Punctum saliens, zum springenden Punkt polizeilicher Tätigkeit geriet. Wobei die Herren sich erst einmal darauf einigen mußten, was hier eigentlich genau vorgefallen war. In diesem Fall: Sie wollten sich den Erfolg nicht nehmen lassen. Diesmal nicht. Es bedurfte bloß einer optimalen Ausgestaltung der Aktion, einer Täterdämonisierung, die – wofür man beten mußte – endlich einmal nicht zum Eigentor führte. Und es bedurfte einer ausgefeilten Selbstdarstellung der Einsatzleitung. Die destruktiven, wie krankhaft stets gegen die Exekutive gerichteten Elemente der Presse würden es diesmal einfach schlucken müssen: Hier lag eine mustergültige Arbeit vor.
    »Der Präsident ist beim Präsidenten«, sagte Stock, als müsse er die Abwesenheit seines Chefs erklären.
    »Als erstes würde ich die Waffe auswechseln«, riet Steinbeck. Stock legte sich seinen Kopf zurecht, sah auf die Walther hinunter und verzog das Gesicht angewidert, wohl auch, da er seiner Kollegin recht geben mußte. Das war kaum das Objekt, das er auf einer Pressekonferenz präsentieren wollte. Marquardt zog Steinbeck zur Seite, gratulierte, natürlich müsse er darauf bestehen, ihr sogenanntes eigenmächtiges Handeln zu verurteilen. Er lächelte. Einen besseren Ausgang hätte die Angelegenheit gar nicht nehmen können. Nicht auszudenken, man müßte sich mit einem überlebenden Attentäter herumschlagen, der dann, verführt von der Aufmerksamkeit der Medien und beraten von skrupellosen Anwälten, sich zum Märtyrer aufschwang, Intentionen vorschob, auf die er von selbst gar nicht gekommen wäre, um vielleicht auch noch die Sympathien der Kleinbürger an sich zu reißen. Marquardt dankte Gott, daß der Mann tot war.
    Steinbeck dankte nicht. Ließ jedoch dem Sicherheitsdirektor seine Freude, die er, nach Monaten voller Erniedrigungen, wahrlich verdient hatte. Sie schüttelten einander die Hand. Marquardt begab sich zu den beiden Präsidenten, die sich in jenem Licht sonnten, das nun, nach einer schweren Stunde der Bewährung, aus dem Imperial herausleuchtete und dem Tourismusstandort Wien einen feurigen Glanz verlieh.
    Steinbeck wählte den Weg durch das Innere des Hotels, drängte vorbei an den vom Eifer, von der Gunst des Augenblicks fiebrigen Männern, und trat durch einen rückwärtigen Gang ins Freie, marschierte vorbei an Künstlerhaus und Musikvereinssaal, die, vom bewegten Blaulicht gesprenkelt, die Wirkung abdriftender Körper besaßen und sich solcherart ihrer aufgeregten Umgebung angepaßt hatten. Am Karlsplatz passierte sie eine Absperrung, hinter der sie sich durch das spontan entstandene Volksfest kämpfen mußte. Noch fehlte den Menschen die Enttäuschung über den allzu glimpflichen Verlauf, und noch hielt sich jene prospektive Schadenfreude, genährt durch die Annahme vom Scheitern der Polizeiorgane.
    Aus der Masse heraus gelangte Steinbeck auf die Argentinierstraße wie in ein bloß noch mit Hitze gefülltes Backrohr und trat auf Höhe der Taubstummengasse in eines jener Häuser, in deren Eingangsbereich Messingplatten von Gesellschaften zur Verwaltung eigener Vermögen prangten. Was aussah, als handle es sich um die Schilder eines erfolgreichen, jedoch durchaus ängstlichen und abergläubischen Kriegervolkes.
    Im ersten Stock nahm Lilli in einem kleinen, einzig mit zwei abgesessenen Stühlen aus der Restaurationszeit und der Reproduktion einer Federzeichnung Moritz von Schwinds geschmückten Vorraum Platz. Aus dem Nebenzimmer drang zur Klavierbegleitung der Gesang eines Mädchens herüber. Mit jugendlicher Beiläufigkeit und einer Stimme, die sauber war wie ein frisch gemachter Kaninchenstall, trug sie Die liebe Farbe aus
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