Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
auszusprechen, war ihm wichtig. Er wäre sich sonst wie ein Trinker vorgekommen, dem man ungefragt sein Glas hinstellt.
    Er kramte in seiner Geldbörse. Da er aber nicht genug Kleingeld zusammenbekam, zahlte er mit einem größeren Schein. Unter dem Geld, das ihm die Verkäuferin herausgab, befand sich ein Zwanzig-Schilling-Schein, der dem peniblen Vavra sofort ins Auge stach. Die Banknote war mit Kugelschreiber beschmiert worden: Kreise, Kreuze, dazwischen eine Zahlenreihe. Vavras Verhältnis zu Geldscheinen war, zumindest bis zu diesem Tag, ungleich besser als das zu Frauen. Er empfand es als Unverschämtheit, ein Zahlungsmittel, das ja durch eine Unzahl von Händen ging, in welcher Form auch immer zu verunstalten. Was dachten sich die Menschen dabei, Papiergeld zu Notizblöcken umzufunktionieren? Nicht daß er glaubte, daß solche Menschen dachten. Allzugerne hätte er die Annahme des Geldscheins verweigert. Doch Vavra war ein ängstlicher Mensch. Er fürchtete das Unverständnis der Verkäuferin, fürchtete – da nun weitere Kunden eintraten –, man würde ihn belächeln. Öffentliche Auftritte waren ihm ein Greuel. Das war nicht der Ort und nicht der Anlaß, um im Mittelpunkt zu stehen. Weshalb er sich mit einer unsichtbaren Mißfallensgeste begnügte, das Ärgernis in seiner Geldbörse unterbrachte und die Bäckerei verließ.
    Während seiner Arbeitszeit dachte er nicht mehr an die Geschichte, war zu sehr damit beschäftigt, einem Tofuwürfel den Geschmack von Leberkäse einzuhauchen, seine Festigkeit zu erhöhen und ihm eine fingerfreundliche Form zu verleihen sowie auf der Vorder- und Rückseite das markante Konterfei eines ehemaligen russischen Präsidenten und auf den Seitenflächen das Logo eines Möbelhauses unterzubringen. Auf dem Nachhauseweg wiederum war er wie üblich in die Lektüre seiner Tageszeitung vertieft. Doch als er nun in seinem bequemen Ledersessel saß und gelangweilt den Bemühungen eines telegenen Psychologen folgte, dem Fernsehpublikum den Grund für die Häufung von Amokläufen zu erklären, da kam Vavra nicht umhin, sich seines morgendlichen Ärgers zu entsinnen. Auch wenn er sich ermahnte, nicht weiter darüber nachzudenken, die Sache regte ihn auf. Er nahm seine Geldbörse vom Tisch, zog den inkriminierten Geldschein heraus und betrachtete das Geschmier, das jene wirre und dichte konstruktivistische Note von Graphiken besaß, die während eines Telefonats entstehen und des öfteren an Bebauungspläne erinnern. Vavra sah auf die sieben Ziffern, welche in aneinandergereihte Karos eingeschrieben waren. Sein Gesicht erhellte sich. Ein kleines, dafür böses Lächeln zog seinen Mund auseinander.
    Es muß nun also erwähnt werden: Herrn Vavras Obsession. Er selbst hätte wohl eher von einem bescheidenen Abendvergnügen gesprochen, aber er sprach nicht davon. Wer erzählt schon, irgendwelche Telefonnummern anzuwählen, in der Hoffnung, daß sich am anderen Ende der Leitung eine alleinstehende, ängstliche Frau meldet? Von Obszönitäten allerdings konnte keine Rede sein. Vavra schwieg eisern. Atmete bloß, auch nicht lauter oder rascher als üblich. Er hörte zu. Ob es nun die verzweifelte Bitte war, er möge sich endlich melden, oder ob er als perverses Schwein beschimpft wurde, immer hörte er die Angst heraus, und die ließ er sich auf der Zunge zergehen. Und auch wenn er nie eine Nummer zweimal wählte – aus Gründen der eigenen Sicherheit und da er Übermut für schändlich hielt –, so stellte er sich gerne vor, wie die Frauen darauf warteten, daß er sie erneut anrief, wie sie sich vorbereiteten, sich eine Strategie zurechtlegten, unschlüssig, wie einem solchen Psychopathen zu begegnen sei, ob sie sich belustigt geben, ihm drohen sollten, mit Kastration, mit einem Ehemann, der demnächst nach Hause kam, oder ob es besser war, die Kraft seines Schweigens aufzulösen, indem sie selbst schwiegen. Überlegten, ob sie überhaupt zum Telefon gehen, den Anrufbeantworter einschalten, den Stekker herausziehen sollten. Vavra genoß die Vorstellung, wie die Phantasie mit diesen Frauen durchging, sie an ihrer Angst herumdrückten wie an einem Furunkel und dadurch nur noch alles schlimmer machten. Wie sie in Küchenläden nach Messern kramten, Türen überprüften, Fenster schlossen, Pillen schluckten, durch Zigaretten atmeten, in den seltensten Fällen jemanden anriefen, der ihnen helfen konnte. Wer hätte das auch sein können? Die Polizei? Ein Witz, lieber starben sie, als sich vor der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher