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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber
Autoren: Heinrich Steinfest
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Gürtel besaß, überhaupt keinen Gürtel, Computer mied und gerne früh schlafen ging. Dafür war sie fast so berühmt wie für ihre Nase: daß sie sich, wann immer möglich, um acht, neun am Abend in den Schlaf zurückzog. Man kann sich also vorstellen, daß sie wenig von Nachtarbeit hielt, während ihre Kollegen sich mit Vorliebe im Rahmen von Observationen und diversen Aufmischungen die Nächte um die Ohren schlugen, um dann freilich tagsüber das Geld nicht wert zu sein, das sie nächtens in Bars und Kneipen ausgaben.
    Natürlich galt Steinbeck als Lesbe. Warum, das wollte keiner sagen. Warum, das war ja auch nicht die Frage. Doch zu einem echten Widerstand gegen sie war es nie gekommen. Sie wurde in den oberen Etagen geschätzt. Dort saßen zwar auch nur Männer, die überall Lesben sahen. Aber diese Männer waren auf Erfolge angewiesen. Und Steinbeck lieferte diese Erfolge.
    Es war jetzt kurz vor Mitternacht. Steinbeck folglich wenig begeistert ob eines Verhörs, das man genausogut am nächsten Vormittag hätte führen können. Doch ihr Vorgesetzter hatte die Priorität und Eile betont, mit der dieser Fall zu behandeln sei, da ja nicht nur ein Leben auf dem Spiel stehe, was allein die Nacht noch nicht zum Tage mache, sondern ausgerechnet eine in Österreich ansässige deutsche Industriellenfamilie im Mittelpunkt der unerfreulichen Geschehnisse stehe. Schließlich kämen die Deutschen in dieses Land, um ihre Ruhe zu haben, eben, um aus dem Mittelpunkt zu treten und am Rande der Aufmerksamkeit dem allzu menschlichen Bedürfnis nach Beschaulichkeit und angstfreiem Genuß des Erworbenen nachzukommen. Der Wohnungsstandort Österreich dürfe nicht gefährdet werden. Die Deutschen wären heikel. Das sei ja auch ihr gutes Recht.
    Vavra starrte auf ihre Nase, als überlege er angestrengt, mit welcher Spezies er es zu tun habe. Steinbeck blieb gelassen und erinnerte Vavra solcherart, daß es nicht an ihm war, sich hier freche Blicke zu erlauben, sondern mit aller Freundlichkeit auf einen Irrtum hinzuweisen.
    Ein Sessel wurde herangeschoben und Vavra endlich fallen gelassen. Sein gebeutelter Leib entspannte sich nur langsam. Gerne hätte er geantwortet. Doch niemand stellte eine Frage. Merkwürdigerweise hatten die Männer Besseres zu tun, als sich um ihn zu kümmern. Man unterhielt sich angeregt über Bandscheibenschäden, schlechte Bezahlung und die Oberweite einer Dame, die bloß einen Vornamen zu haben schien. Nur Steinbeck betrachtete ihn. Er sah nicht zurück, der Nase wegen, spürte aber ihren Blick, der wie eine Trennscheibe seinen dürftig bekleideten Körper kopfabwärts durchschnitt.
    »Könnte ich vielleicht etwas zum Anziehen haben?«
    Sofort wurden sämtliche Gespräche eingestellt, waren sämtliche Blicke auf ihn gerichtet. Nur der Qualm der Zigaretten stieg ungebrochen, geradezu geräuschvoll zur Decke. Einer zeigte mit dem Finger auf ihn und meinte, wenn er hier gedenke, große Töne zu spucken, dann werde er sich noch wundern. Was Vavra dann auch tat, als man endgültig zur Arbeit überging, ihn vornweg über die Aussichtslosigkeit seiner Situation unterrichtete und schließlich die Frage stellte, wo er Frau Hafners Tochter Sarah versteckt halte, ob, und wenn ja, wie viele Komplizen beteiligt seien.
    Vavra zeigte sich erschüttert, erklärte, daß er das Opfer eines groben Mißverständnisses geworden sei, bereute sogleich das Wort grob und wurde ja auch für diese Äußerung mit zwei Schlägen ins Gesicht bedankt, die er bis in seine halberfrorenen Füße hinunter spürte. Die alte Geschichte: Man wollte keine Beteuerungen, sondern ein Geständnis. Beteuerungen hätten bis morgen warten können.
    Irgendwie kam Vavra nicht dazu, seine ursprüngliche Strategie zu verfolgen, indem er den Einsatz lobte, auch für härtere Methoden Verständnis zeigte und polizeifeindliche Medienberichte geißelte. Man dichtete ihm eine Entführung an. Bei allem Verständnis – hatten diese Leute denn keine Augen im Kopf? Glaubten die tatsächlich, er besäße soviel Schneid, eine derartige Aktion zu planen, gar auszuführen, ein vielleicht schreiendes Mädchen zu betäuben, sie in irgendein Versteck zu schleppen, seelenruhig telefonische Forderungen durchzugeben … Endlich verstand er: die Nummer auf dem Geldschein. Gerade die Tatsache, daß er am Telefon geschwiegen, daß er Angst hatte hervorrufen wollen, machte ihn verdächtig. Er war in eine Fangschaltung geraten wie andere in die Arbeitslosigkeit. Sein Schweigen,
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