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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber
Autoren: Heinrich Steinfest
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neben dem Hotel Sacher die luxuriöseste Herberge vor Ort war und ein dementsprechendes Publikum anzog. Ein Publikum, das auf den Rest der Welt mit Verachtung blickte, während der Rest der Welt auch nicht gerade freundlich über diese Leute dachte und Wedekind eben einer aus diesem Rest war, ein gewaltiger Rest, dem als einzige politische Überzeugung grenzenloser Neid nachgesagt wurde. – Nein, das Imperial stand zufälligerweise an diesem Schnittpunkt. Hätte sich ein schäbiges Wirtshaus angeboten, wäre Wedekind halt in ein schäbiges Wirtshaus hineinmarschiert.
    Natürlich registrierte der Portier den offensichtlich verwahrlosten Mann, welcher jedoch mit solcherlei Selbstverständlichkeit durch den Eingang trat, daß der Türsteher nicht wagte, ihn aufzuhalten. Woraus ihm kein Vorwurf zu machen ist. Für das Personal großer Hotels gehört der Auftritt ungepflegter Gestalten zum täglichen Brot, seitdem manche vermögende, durchaus splendide Persönlichkeiten sich darin gefallen, den Unterprivilegierten jetzt auch noch ihre Ausstrahlung streitig zu machen. Eine amerikanische Krankheit, die nach Europa geschwappt ist und der wohl nur die in Klassenfragen konsequenten Asiaten Einhalt gebieten werden.
    Wedekind trat also ungehindert in die Halle und zog eine Pistole aus seiner Jackentasche, eine alte, verrostete Walther mit defekter Zugbringerfeder und gebrochenem Schlagbolzen, in der folgerichtig sich auch keine Patrone befand, nie befunden hatte, seitdem Wedekind sie besaß. Der Kellner aus dem Churchill hatte ihm das gute Stück vermacht und von einem Glücksbringer gesprochen. Und auch wenn sich seither das Glück auffallend absent gezeigt hatte, war die Walther Wedekinds Begleiter geblieben.
    Die Waffe lag auf seiner flachen Hand, als schätze er ihr Gewicht. Doch nachlässige Kleidung und das Wiegen einer Pistole scheinen in unserer für einfache, stille Bilder so blinden Zeit zu gering. In der allgemeinen Geschäftigkeit blieb Wedekind unbeachtet. Weshalb er den Griff der Waffe umschloß, seinen Arm streckte und auf einen Tisch zuging, um den herum einige konferierende Männer saßen, auf deren Schenkeln Laptops und Aktenkoffer ruhten, was ein wenig aussah, als wollten sie sich beim Trinken nicht bekleckern. Wedekind war es nicht gewohnt, auf Menschen zu zielen, weshalb er die Waffe auf die Mitte des Tisches richtete. Da er dabei jedoch keinen Ton von sich gab, wurde er zunächst bloß von ebendiesen Geschäftsleuten wahrgenommen, die nun genauso lautlos ihre Hände auf Schulterhöhe hoben. Ihr Entsetzen hielt sich in Grenzen, als gehöre derartiges zu den bedauerlichen Nebenerscheinungen eines Berufslebens. Ein kahlköpfiger, kleiner Mann, der allein dadurch präsidiabel wirkte, daß er als einziger nichts als seine Hose auf den Oberschenkeln hatte, nickte einem Jüngeren zu, welcher den kleinen Metallbehälter – auf den so unbeabsichtigt wie exakt die Waffe zielte – Wedekind zuschob. Worin sich wohl irgendein verdammter Mikrochip befand, der irgendein verdammtes System revolutionieren würde. Nicht verdammt genug, daß die Herren dafür sterben wollten. Wie sollten sie ahnen, daß der einzige Sinn dieser Aktion für Wedekind darin bestand, auf sich aufmerksam zu machen, und zwar genaugenommen darauf, daß gleich nebenan der Schwarzenbergplatz sich befinde und er folglich seine Flucht beendet habe. Da es aber offensichtlich nicht reichte, bloß eine Waffe auf einen Tisch zu richten, stieß Wedekind nun doch eine Reihe unartikulierter Schreie aus und vollzog mit schwingender Pistole mehrere Pirouetten, um das Allgemeingültige seiner Handlung zu betonen. Woraufhin endlich die von ihm dargestellte Bedrohung als solche wahrgenommen wurde und einige Leute ebenfalls zu schreien begannen. Jene, die meinten, sich mit Überfällen auszukennen, und die noch weit mehr als diesen einen Verrückten den Ehrgeiz einschreitender Organe fürchteten, ließen sich auf den Boden fallen. Zwei Sicherheitsbeamte, die in die Halle stürmten, erwiesen sich als geschulte Leute, was man daran erkannte, daß sie ihre Hände zwar an die Holster hielten, aber dort auch ließen. Denn Wedekind stand jetzt hinter zwei älteren Damen, die mimisch und gestisch erstarrt waren, und bewegte seine Waffe zwischen den beiden weißhaarigen Köpfen hin und her. Die Beamten hoben die Arme leicht an und erklärten, daß Gewalt keine Lösung sei, zumindest nicht mitten im Imperial. Dann beruhigten sie sich selbst, indem sie wieder aus dem Hotel
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