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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen
Autoren: Susanne Hornfeck
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Strümpfe zu protestieren, nickte sie nur und erwiderte: »Danke, Paolo. Wir gehen jetzt zum Abendessen.«
    Diesmal waren sie zu dritt. Während Frau Finkelstein den Luxus, das Lichtermeer, die leise Klaviermusik, die ganze exklusive Welt des Speisesaals allmählich zu genießen schien, verzehrte ihr Mann lustlos, was ihm vorgelegt wurde. Es war ein Pflichtakt, den er stumm vollzog. Selbst Frau Schwab, die ihn nur zu gern ausgefragt hätte, scheiterte an seinem stoischen Schweigen.
     
    Satt, zufrieden und müde von den Ereignissen dieses ersten aufregenden Tages auf See verzog Inge sich bald nach dem Essen unaufgefordert in ihr Kämmerchen. Die Seeluft hatte sie müde gemacht, und sie war schon im Halbschlaf, als sie nebenan die erregten Stimmen ihrer Eltern hörte.
    »Marianne, versteh mich richtig, ich bin dir unendlich dankbar, dass du mich da rausgeholt hast, aber wie konntest du ein solches Risiko eingehen?«
    »Dann sag mir mal, wie wir uns von zehn Reichsmarkpro Kopf da drüben eine Existenz aufbauen sollen? Den Erlös aus dem Verkauf von Café und Konditorei durften wir ja nicht mitnehmen. Was uns der Wallenburger dafür bezahlt hat, war ohnehin ein Witz. Immerhin hat es für die Schiffspassagen gereicht.«
    »Das ist es ja, was mich so fertigmacht, dass ich dich mit hineinziehe, in dieses ganze Elend. Da hast du dich mit deinen Eltern überworfen, um einen mittellosen Juden aus dem Waisenhaus zu heiraten. Und als er dann endlich was auf die Beine gestellt hat, nehmen sie’s ihm wieder weg.«
    »Aber mich werden sie dir nicht wegnehmen«, hörte Inge die Mutter leise, aber bestimmt sagen. »Es ist eine Verschnaufpause, die wir uns hier erkauft haben. Wer weiß, was uns am anderen Ende der Reise erwartet. Dann bleibt uns womöglich nur mein Familienschmuck.«
    »Schon gut, Marianne. Ich versteh dich ja, aber wie konntest du ausgerechnet die Puppe dazu hernehmen. Wenn die Zollbeamten das entdeckt hätten! Vor dem Kind!«
    »Es war der sicherste Platz«, rechtfertigte sich die Mutter. »Und wenn ich meinen Schmuck schon versetzen muss, kann ich ihn ebenso gut vorher noch mal tragen«, fügte sie bitter hinzu.
    Bei dem Wort Puppe war Inge auf einmal hellwach. Während des ersten Tages auf See hatte sie völlig vergessen, die Gundel, ihre Käthe-Kruse-Puppe, auszupacken. Höchste Zeit, dass sie aus dem Schulranzen befreit wurde, in dem sie gereist war. Jetzt sofort wollte Inge sie zu sich ins Bett holen. Als sie leise die Türöffnete, sah sie ihre Mutter am Tisch sitzen und mit den Fingern im weichen Stoffkörper ihrer Puppe wühlen. In Gundels Rücken klaffte ein Loch. Inge stieß einen spitzen Schrei aus: »Mama! Was machst du da?«
    Die Köpfe der Erwachsenen fuhren herum.
    »Inge!« Ihre Mutter fand als Erste die Sprache wieder. »Äh   … wegen der Gundel. Ich kann dir das erklären. Ich hab da eine kleine Operation an ihr vornehmen müssen. Sie hat uns geholfen, etwas sehr Kostbares über die Grenze zu bringen.« Vor ihr auf dem Tisch lagen ein Diamantring, ein Paar passende Ohrringe, einige Broschen und eine feingliedrige Goldkette. »Ich verspreche dir, dass ich sie jetzt sofort wieder zunähe. Mit Narkose.«
    Inges Mutter hatte den ziemlich ramponierten Stoffkörper der Puppe schon mehrfach geflickt und ihr auf Inges Geheiß zuvor immer eine Betäubungsspritze mit der Nähnadel gegeben.
    »Betäubung ist nicht nötig. Die spürt sowieso nichts.«
    Einen Moment lang sah die Mutter ihre Tochter verblüfft an. Dann sagte sie: »Da siehst du, Willi, was für ein großes, verständiges Mädchen wir haben, auch wenn sie erst zehn ist. Ich finde, Inge sollte unsere Vertraute sein. Nach allem, was passiert ist, können wir ihr keine heile Welt mehr vorspielen. Unsere kleine Familie muss zusammenhalten und miteinander reden. Gemeinsam können wir besser mit der neuen Lage fertig werden. Übrigens finde ich es großartig, dass sie jetzt unsere China-Expertin ist. Oder hast du gewusst, dass das Chinesische vier Töne hat?«
    Der Vater zuckte nur mit den Schultern, doch seinBlick ruhte mit liebevollem Staunen auf seiner Tochter.
    Geschickt nähte Inges Mutter die Puppe wieder zu und schickte die beiden anschließend ins Bett. »Und sei mir bitte nicht böse. Es musste einfach sein«, sagte sie noch, als sie sich über Inge beugte und ihr einen Gute-Nacht-Kuss gab, den zweiten an diesem Abend. Dann schloss sie leise die Tür zum Ankleidezimmer.
    Doch einmal geweckt, ließ sich die Vergangenheit nicht aussperren.
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