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Tontauben

Tontauben

Titel: Tontauben
Autoren: Annette Mingels
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vor Nässe, Happy Birthday, die Buchstaben flatterten im Wind. Hier musste sie losgefahren sein.
    Wir fahren im Schritttempo die ganze Strecke ab, sagte Anne, und wo das Auto nicht hin kann, laufe ich.
    Der Weg durch das Dorf, vorbei an der Kirche, in die Seitenstraße. Hier entlang, oder eher da?
    David kratzte sich am Kopf: Ich weiß es nicht.
    Also, sagte Anne, hier lang.
    Sie hatten die Fenster geöffnet, kalt zog es in den Wagen hinein. Auf der Landstraße machte David den Warnblinker an. Anne lief den Radweg ab. Zog das Handy aus der Hosentasche, wählte Yolas Nummer. Sprach auf die Mailbox, noch eine Nachricht. Sie konnte das Meer hören, vom Wind gestreift. Als der Radweg endete, ging sie zum Auto zurück.
    Nichts, sagte sie, als sie neben ihm saß.
    Hier muss sie auf der Straße weitergefahren sein, sagte David. Lass mich mal aussteigen.
    Sie kletterte auf den Fahrersitz. David lief am Rand der Straße, blickte die Böschung entlang, starrte in das Dunkel des Waldes. Anne rief Karen an. Nichts Neues, sagte Karen. Und bei euch? Auch nichts, sagte Anne, leider. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Nach jeder Bewegung der Scheibenwischer konnte sie David kurz sehen, bevor er wieder hinter den Tropfen verschwand. Sie kurbelte das Fenster herunter. Komm wieder rein!, rief sie. Du kannst von hier drinnen alles genauso gut sehen. Ich weiß nicht, sagte David, meinst du? Aber er ging schon auf den Wagen zu.
    Es war noch nicht hell, als sie nach Hause kamen. Karen sagte: Ich mache Kaffee. Sie ging in die Küche. Anne setzte sich an den Esstisch und stützte das Gesicht in die Hände. David hatte den Pullover ausgezogen, ein Handtuch lag auf seinen Schultern. Er sah aus wie ein Sportler, der ein Spiel verloren hat.
    Wir rufen jetzt ihre Freundinnen an, sagte er, und als er Annes Gesicht sah: Herrgott, Anne, das ist ein Notfall!
    Gibt es, fragte Anne, als Karen den Kaffee brachte, einen Jungen, von dem wir nichts wissen?
    Karen überlegte. Ich glaube nicht, sagte sie.
    Es war halb sieben, als sie vor der Wache parkten. Der Himmel gelb und blau gefleckt. Es roch nach nasser Erde, nassem Asphalt. Als wäre das Meer über die Insel geschwappt. Als hätte es sich die Insel einverleibt und sie wieder ausgestoßen. Der Polizist, der aus einem der hinteren Zimmer trat, hatte helles fedriges Haar, das ihm über die Ohren fiel. Die Augen fast ohne Wimpern und Brauen, wie bei einem Neugeborenen.
    Unsere Tochter ist verschwunden, sagte David, und ich verlange, dass Sie jetzt nach ihr suchen.
    Doch es war Karen, die Yola fand. Noch bevor der Suchtrupp aufbrechen konnte, hatte sie ihr Fahrrad genommen und war zum Gemeindehaus gefahren. Auf dem Rückweg sah sie zwischen den Baumstämmen das Schutzblech blitzen. Sie stieg ab und ging über die Böschung in den Wald. Yola lag nicht weit entfernt vom Rad. Karen rief ihre Eltern an, sie klang ganz ruhig. Erst als sie im Auto saß, begann sie zu schreien, hoch und so verzweifelt, dass Anne sie an sich drückte, um sie zu trösten und ihren Schrei zu ersticken, der von nun an, das wusste sie, zu ihnen gehören würde: zu Karen, David und ihr, den Überlebenden.
    David trägt das silberne Tablett vor sich her, darauf Brötchen und Kaffee und Orangensaft, Butter und Marmelade. Er bringt es ans Bett, und Anne tut so, als läge sie nicht schon seit Stunden wach, sondern sei eben erst erwacht und überrascht.
    David sagt: Frühstück. Mach mal Platz!
    Sie versucht, im Liegen zu essen, aber das geht nicht. Sie setzt sich in den Schneidersitz, während David die Kissen in seinem Rücken stapelt und Anne zwischen zwei Bissen anschaut, die Augen zusammengekniffen, weil hinter ihr das Fenster ist. Der Hund winselt leise. Dann komm halt, sagt Anne. Mit einer Hand schiebt sie die Decke zur Seite, der Labrador springt auf das Bett und kringelt sich zusammen, den Kopf auf den Hinterpfoten.
    Oje, sagt David, schon so spät.
    Er steht auf, sagt: Du hast noch Zeit, oder?
    Sie sieht ihm hinterher, wie er das Zimmer verlässt, sie hört ihn duschen, dann sieht sie ihm zu, wie er nackt umhergeht, Socken aus dem Schrank nimmt, Unterwäsche, wie er sich anzieht und ihr dabei von Zeit zu Zeit einen Blick zuwirft, der freundlich ist und fragend.
    Hast du abgenommen?, fragt sie.
    Er sieht an sich herunter, zuckt mit den Achseln, klopft sich kurz auf den Bauch.
    Möglich, sagt er, ich weiß nicht.
    Sieht gut aus, sagt sie. Dann fügt sie hinzu: Ich gehe heute nicht arbeiten.
    Ist dir schlecht?, fragt David, und
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