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Tontauben

Tontauben

Titel: Tontauben
Autoren: Annette Mingels
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gelegt. Die Jugendlichen in der Reihe vor ihnen schreien. Anne schließt die Augen und spürt, wie sie stürzen. Emporgerissen werden. Und wieder stürzen. Sie merkt, wie ihr übel wird. Eine Angst, die nichts Rationales an sich hat und ihr Tränen in die Augen treibt. Sie schreit nicht, aber sie wimmert ein wenig. Es ist nicht schön. Nichts an dieser Fahrt ist schön. Als sie endlich wieder stehen, als sich die Bügel lautlos heben, als die Rockmusik ausklingt und sie auf wackeligen Beinen aus dem Wagen klettert, ist sie so wütend, dass sie Tristan nicht anschauen kann.
    Ist alles in Ordnung?, fragt er, als er hinter ihr die Stufen runtergeht. Anne?
    Ja, sagt sie. Und zieht ein Gesicht, das Nein sagt. Nein. Nein. Nein. Es ist inzwischen fast dunkel geworden. Die bunten Lichter, die erleuchteten Gondeln des Riesenrads, der Mond, der von irgendwoher aufgetaucht ist, blass und schmal wie ein kränklicher Cousin.
    Ich muss allmählich nach Hause, sagt Anne. Mein Mann fragt sich sicher schon, wo ich bin.
    Ja, sagt Tristan. Du hast recht.
    Er fragt: Wo wohnst du? Sie sagt es ihm. Ich bringe dich hin, sagt er.
    Nein, mein Auto steht ja bei dir, sagt sie.
    Ah. Klar. Er kann es ihr nicht recht machen. Aber er gibt sich Mühe. Sieh mal, da vorne sind Taxis. Lass uns eins nehmen.
    Im Taxi fragt er: Sollen wir morgen telefonieren? Wegen der weiteren Beratung?
    Geht die denn noch weiter?, fragt Anne.
    Jetzt sieht er ein bisschen gekränkt aus. Natürlich nur, wenn du willst, sagt er. Aber eigentlich schon. Ja.
    Okay. Sie sieht aus dem Fenster. Oh, sagt sie plötzlich. Mist. Ich habe den Fisch verloren.
    Er sieht auf ihre Hände, auf seine, auf den Platz zwischen ihnen. Den Boden. Kein Fisch da.
    Tut mir leid, sagt er. Die Fahrt. Dass ich dich überredet habe. Alles.
    Sie muss plötzlich lachen. Es war furchtbar, oder? Gib’s zu.
    Ja, sagt er. Es war einfach nur schrecklich.
    Sie lachen, bis das Taxi vor seiner Praxis hält. Bis er bezahlt hat und sie ausgestiegen sind. Der Taxifahrer hat kurz geschnaubt und dann nur noch geseufzt. Hat sich nicht bedankt, aber immerhin eine gute Nacht gewünscht.
    Tristan bringt sie zu ihrem Auto. Rufst du also an?
    Ja. Sie nickt. Morgen oder übermorgen.
    Als sie schon im Wagen sitzt, klopft er noch einmal.
    Etwas Neues, sagt er, als sie das Fenster geöffnet hat. Weißt du noch? Du darfst mich zu etwas Neuem überreden.
    Das werde ich, sagt Anne. Sie sagt es drohend, und Tristan lächelt und sagt: Ich bin gespannt.
    Das Essen ist im Ofen, sagt David statt einer Begrüßung.
    Er wendet die Augen nicht vom Fernseher ab. Irgendwer verfolgt irgendwen. Autos werden ineinandergeschoben und drehen sich um die eigene Achse. Fliegen ein paar Meter weit, fallen krachend herunter. Fahren trotzdem weiter. Irgendwer schießt, irgendwer ist raus aus dem Spiel.
    Es tut mir leid, sagt Anne.
    David nickt und sie geht in die Küche. Nimmt sich von der Lasagne und vom Salat, der schon schlaff geworden ist. Ein Glas Wein dazu. Sie hat Hunger wie nach einer langen Krankheit. Isst eine große Portion, nimmt sich noch eine. Trinkt noch ein Glas Wein. Sie hört, wie der Ton leiser gestellt wird. Dann kommt David in die Küche. Er setzt sich an den Tisch, stützt den Kopf in die Hände und sieht sie abwartend an.
    Schmeckt gut, sagt sie.
    Herrgott, Anne, sagt er. Ruf das nächste Mal an! Oder geh wenigstens ans Handy.
    Ich hatte es nicht dabei, sagt sie.
    Das stimmt sogar. Es liegt neben ihrem Bett, sie hat es als Wecker benutzt.
    Ich hatte Angst, sagt David. Er klingt nicht vorwurfsvoll, als er das sagt. Eher überrascht. Erschrocken von sich selbst.
    Glaubst du, das wird je besser?, fragt er. Glaubst du, es wird je einen Tag geben, an dem wir nicht daran denken? Eine Stunde wenigstens?
    Sie hat die Gabel hingelegt. Das Messer daneben. Warum muss er das jetzt sagen. Ihr den Bissen im Hals stecken lassen. Den Wein vergiften.
    Ich weiß es nicht, sagt sie. Ich weiß es wirklich nicht.
    In der Nacht kann sie nicht schlafen. Sie steht auf, setzt sich auf einen Stuhl. Macht Entspannungsübungen. Einatmen, ausatmen. Sich schwer fühlen und warm. Den Herzschlag hören. Hitze auf der Stirn, Kälte. David liegt auf seiner Seite des Bettes. Er atmet ruhig. Als sie um drei Uhr immer noch nicht schläft, geht sie in die Küche, um etwas zu essen. Sie hat keinen Hunger, aber der Zucker beruhigt den Kopf. Macht ihn müde. Entspannt ihn den entscheidenden Moment lang, den er zum Einschlafen braucht.
    Natürlich haben sie ihre
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