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Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes

Titel: Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
Autoren: Mark Billingham
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Appetit.
    »Unter der Erde ist es immer schlimmer«, hatte ihm ein anderer Fahrer gesagt. »In gewisser Weise hast du Glück gehabt. Einfacher, wenn du aus dem Tunnel rauskommst, als
wenn du in einen Bahnhof einfährst und es farbig aufblitzt, weil so ein Irrer sich in letzter Minute vor den Zug wirft.«
    Michael nickte und dachte sich seinen Teil, wie immer. Der Mann, der hier kluge Reden schwang, hatte nie einen Selbstmörder gehabt, aber er behauptete, viele Fahrer zu kennen, die diese Erfahrung gemacht hatten.
    Geschichten aus dem Krieg gab es genug. Mythen und Fehlinformationen.
    »Ja, unter der Erde ist definitiv schlimmer«, wiederholte er.
    Aber zwei. Zwei …
    »Wie hoch ist die Brücke eigentlich? Zwölf Meter, vierzehn Meter? Wahrscheinlich waren sie beide tot, bevor du gekommen bist. Du hättest nichts tun können, Mann, rein gar nichts. Mach dir da mal keine Gedanken.«
    Dieser Fahrer und noch einige andere füllten ihn am Tag darauf mit Whisky ab. Er ließ sie, obwohl er eigentlich nur nach Hause und sich eine Weile in seinem Bett verkriechen wollte.
    Er nickte nur und nahm noch einen Drink.
    Aber er hatte es gesehen . Er hatte die Frau gesehen. Hatte eine Armbewegung gesehen und wie sie den Kopf hob, sich umdrehte, als der Zug bei ihr war. Das war der Moment, als er die Augen schloss und auf den Aufschlag wartete. Der war nicht wirklich stärker gewesen als damals, als er bei der letzten Fahrt nach Mill Hill East im Norden den Fuchs erwischt hatte.
    Er sitzt im Wohnzimmer. Der Fernseher läuft, aber der Ton ist stumm. Ist es schon Zeit fürs Mittagessen? Es war doch erst halb elf, als er das letzte Mal auf die Uhr sah. Vielleicht ist es ja ein gutes Zeichen, dass die Tage inzwischen etwas schneller vergehen. Die ersten Tage hatte er
das Gefühl gehabt, sie würden nie vergehen. Ständig diese guten Ratschläge und die gesenkten Stimmen.
    Er muss mal anrufen und fragen, wann er wieder zurückkommen kann. Jemand von der Gewerkschaft war da, aber es ging alles so verdammt schnell, und er hat nicht wirklich was mitbekommen. Zwei Wochen »Zwangs«-Urlaub, wenn er sich recht erinnerte.
    Seine Tochter rief neulich an und fragte, ob sie nach Hause kommen solle, aber er wollte sie nicht von der Uni wegholen und sagte, nein, alles sei in Ordnung. Jetzt wäre es ihm lieber, sie wäre da. Er konnte mit ihr reden, wie er mit Lizzie niemals würde reden können. Eigentlich dumm, aber so war es nun mal. Seine Tochter, das wusste er, käme besser damit klar, mit seinem Zustand.
    »Es war ihre Wahl, Dad«, hatte sie am Telefon gesagt. »Du hast Pech gehabt, das ist alles.« Das war natürlich, bevor es in den Zeitungen kam. Mit Wahl hatte das nichts zu tun, was dieser Frau und ihrem Jungen passiert war.
    Klar sah er sie fallen, die Arme und Beine, der Rock der Frau, der sich um ihre Hüften blähte. Zeit genug, dass sich sein Magen verkrampfte, bevor er bei ihnen war, Zeit genug, sich dafür zu wappnen.
    Neben seinem Sessel liegen eine Menge Zeitungen auf dem Boden und auf dem Esstisch ein Stapel Taschenbücher. Er hat immer gerne gelesen, kam am Montag mit vier Büchern aus der Bücherei nach Hause, da konnte man die Uhr danach stellen. Die letzten hatte Lizzie für ihn geholt, sie meinte, das würde ihn ablenken, aber er hatte nur darin geblättert. Er hatte keine Lust zu lesen, so wie er keine Lust zu essen hatte. Die Bücher, die er mochte, Thriller und so, waren unpassend, und Lizzies Liebesromane konnte er nicht leiden.

    »Nur Herzschmerz und Blümchen und Bussibussi«, hatte er mal gesagt.
    »Na und«, hatte sie gemeint und eine Grimasse gezogen. »Besser als dieses Gemetzel, auf das du so stehst.«
    Zehn Minuten später kommt sie rein und trägt das unberührte Essen weg. Sagt, das mache nichts. Wer wohl den Zug nach so was putzen muss? Es gibt immer Leute, die’s schlimmer trifft als einen selbst.
    »Ich denke, ich nehm die Zeitung mit ins Bett«, sagt Michael.
    Er steht auf und legt sich in der Unterhose ins Bett, schließt die Augen und hofft, dass er nicht träumt. Unten wird eine Tür geschlossen, er hört und spürt es durch den Boden.
    Nur ein Knall. Nicht mehr als damals, als er den Fuchs überfuhr.

    MEINE AUFZEICHNUNGEN
    16. Oktober
     
    Damit wäre alles so gut wie gelaufen. Zeit für die berühmten letzten Worte. Zumindest die letzten Worte auf diesen Seiten, wie immer die Sache später ausgeht. Wahrscheinlich sollte ich mir etwas Tiefschürfendes und Bedeutungsvolles überlegen, aber im Moment
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