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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman
Autoren: Viktor Pelewin
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von seinem Diwan aus sehen konnte, jedenfalls ließ Ariel immer größere Unruhe erkennen.
    »Was wollen Sie machen?«, fragte er.
    »Ich meine«, sagte T., »es wäre gerecht, mit Ihnen so zu verfahren, wie Sie mit mir verfahren wollten, guter Mann. Sie wollten einen Punkt unter mein Schicksal setzen. Stattdessen werde ich nun einen Punkt unter Ihr Schicksal setzen.«
    »Sie wollen mich umbringen?«
    »Nein«, antwortete T. »Ich werde einfach dieses Buch selbst beenden.«
    »Reden Sie keinen Unsinn. Die Realität ist nicht so einfach, wie es Ihnen scheint. Jedes Universum lebt nach den Gesetzen, nach denen es erschaffen wurde, ob der Schöpfer das will oder nicht. Man kann das Buch nicht beenden, ohne die Sujetlinien zu verbinden.«
    »Einverstanden«, nickte T. »Aber Sie selbst haben mir die Möglichkeit gegeben, die Geschichte zu vollenden.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Sie sind nicht besonders sorgfältig, Sie haben eine Sujetlinie vernachlässigt und sie nicht weitergeführt. Für mich ist es nun ganz einfach, sie zu Ende zu bringen.«
    »Das verstehe ich nicht.« Ariel war bleich geworden.
    »In Ihrem Opus gibt es ein Motiv, das mit Namen zu tun hat. Wissen Sie noch? Süleyman hat Ihnen befohlen, die Sache mit der kirchlichen Überlieferung zu regeln, und Sie haben die Legende über den Hermaphroditen mit dem Katzenkopf erfunden. Dieser Legende nach wird sich die Tür nach Optina Pustyn öffnen, wenn der Große Löwe dem Hermaphroditen zum Opfer gebracht wird.«
    »Ausgezeichnetes Gedächtnis«, sagte Ariel. »Tatsächlich, wir haben das Opfer nicht gebracht … Und nun?«
    »Ganz einfach. Der Name Ariel besteht aus zwei Wörtern, Ari und El und bedeutet ›Löwe des Herrn‹. Der Große Löwe, das bin nicht ich, das sind Sie.«
    »Ich?«, fragte Ariel verblüfft.
    T. nickte.
    »Dank sei Ihrem kabbalistischen Großvater … Ich könnte das als endgültigen Beweis anbringen, dass der Autor nicht Sie sind, sondern ich, aber muss ich Ihnen wirklich etwas beweisen, Ariel Edmundowitsch?«
    Zu dem Zeitpunkt hatte die Kugel um Ariel herum nur noch den Durchmesser von einem Fahrradreifen, und der auf dem Diwan sitzende Demiurg sah aus wie der Bewohner eines Puppenhauses im Schaufenster eines Spielzeuggeschäfts. Aber die vielen kleinen Lichter in den winzigen Fenstern seines Zimmers bewiesen, dass seine Welt dennoch komplizierter angelegt war.
    Irgendwo dort, inmitten dieser Lichter, gab es noch immer die Hardliner und die Liberalen, Grigorij Ownjuk und Armen Wagitowisch Makraudow, die alte Isergil und das Café Vogue, den traurigen Chor der Harlemer Juden, das Petersburg Dostojewskis auf der riesigen Eisscholle, das Fenster nach Europa an der ukrainischen Grenze, die globale Finanzkrise und die ersten zaghaften Keime der Hoffnung, den Manager Süleyman mit seinem Wachdienst, den Archimandriten Pantelejmon mit seinem unsichtbaren Gott und natürlich die Marktforscher, die fortwährend darauf aus waren, das alles möglichst geschickt zu verkaufen …
    Mit Ariel war eine merkwürdige Veränderung vor sich gegangen – er war mit seinem Zimmer zusammen kleiner geworden, aber nicht gleichmäßig, sondern so, dass sein Kopf für den geschrumpften Körper viel zu groß war. Der Haarkranz über dem Kopf war riesengroß und hatte sich in eine Art Mähne verwandelt, und Ariel sah tatsächlich aus wie ein Löwe, nur eben wie ein ganz kleiner Löwe.
    Seine Stimme aber war nach wie vor laut und deutlich.
    »Ja«, sagte er, »eine interessante Beobachtung. Darauf bin ich gar nicht gekommen … Aber woher nehmen Sie den Hermaphroditen mit dem Katzenkopf?«
    »Den habe ich immer dabei«, erwiderte T. »Wollen Sie ihn sehen?«
    Er hob die Hand, in der er den Sack hielt.
    »Gates«, las Ariel. »Gates? Das bedeutet ›Hölle‹, nicht wahr?«
    »Nein. Der ›Hades‹ schreibt sich auf Griechisch anders. Das Wort ›Gates‹ bedeutet ›Katzen‹. Aber ich dachte mir, dass Sie den Kalauer zu schätzen wissen. Sie selbst haben diese symbolische Reihe erzeugt, Ariel Edmundowitsch. Also brauchen Sie sich jetzt nicht zu beklagen …«
    Bei diesen Worten steckte T. die Hand in den Sack und zog einen schläfrigen rostroten Kater hervor, der vom Liegen zu einer gleichförmigen Masse zusammengepresst worden war – es dauerte einige Zeit, bis Pfoten, Schwanz und Körper zum Vorschein kamen. Als Letztes öffneten sich die gleichgültigen grünen Augen und der Kater miaute.
    Ariel grinste.
    »Das ist doch Olsufjews Kater. Mit seiner Hilfe haben
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