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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman
Autoren: Viktor Pelewin
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der wartet dahinter,
    Kriecht nicht ins Gedicht und reimt sich nur mit sich alleine …
    Als T. begriff, dass das Gedicht zu Ende war, sagte er:
    »Nicht übel. Besonders für ein Pferd – ganz und gar nicht übel.«
    »Danke«, sagte das Pferd. »Ich meine, die Schranke ist schon nah. Allmählich kommen wir an die Grenze, hinter der … Aber da Sie jetzt der Autor sind, müssen Sie eigentlich entscheiden, wo der letzte Aussichtspunkt ist.«
    »Ja«, sagte T. zustimmend. »Das ist wahr.«
    Er bemerkte, dass er immer noch den Handschuh trug, der jetzt nicht mehr ganz weiß und mit Grassaft beschmiert war. Er zog ihn aus und warf ihn zur Seite.
    Der Handschuh fiel ins Gras und streifte dabei einen Halm, auf dem ein kleiner Käfer mit länglichem grünem Hinterleib und durchsichtigen Flügeln krabbelte. Der Käfer erstarrte. Als er begriff, dass keine Gefahr drohte, krabbelte er weiter. Bald kroch er in einen Sonnenstreifen und auf seinen Flügeln erschien ein regenbogenfarbiges Netz gebrochenen Lichts.
    Daraufhin tat der Käfer etwas Eigenartiges – er schmiegte sich mit seinem Hinterleib an den Halm, hob den Kopf und begann, die Vorderfühler aneinanderzureiben. Es sah aus, als betete ein winziges grünes Menschlein mit zwei Paar Händen zur Sonne.
    Vermutlich lag keinerlei Sinn in diesen Bewegungen. Aber vielleicht wollte der Käfer sagen, wie winzig er im Vergleich mit dem himbeerroten Sonnenball war und dass es natürlich keinen Vergleich zwischen ihnen geben konnte. Aber eigenartig ist doch Folgendes – diese riesige Sonne und alles Übrige auf der Welt entsteht und vergeht auf erstaunliche Weise in einem winzigen Wesen, das in einem Strahl Sonnenlicht sitzt. Das bedeutet, es ist unmöglich zu sagen, was der Käfer, die Sonne und der bärtige Mann in dem Wagen, der in der Ferne schon fast verschwunden ist – was sie eigentlich sind, denn jedes Wort wird Torheit sein, Traum und Irrtum. All das wurde klar aus den Bewegungen der vier Fühler, aus dem leisen Rascheln des Windes im Gras und selbst aus der Stille, die eintrat, als der Wind sich legte.
    * Städtische Folkloretradition im modernen Lamaismus (Anm. d. Red.)
    ** Die drei Kayas – Dharmakaya, Nirmanakaya und Sambhogakaya – sind die drei Quellen, die drei Bestandteile der Leere im wissenschaftlichen Lamaismus. (Anm. d. Red.)
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