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Tohuwabohu

Tohuwabohu

Titel: Tohuwabohu
Autoren: Tom Sharpe
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Distanzen vererbt hatte. Sie saß, eine schmale, eckige, fast zerbrechliche ältere Dame, in dunklen Chiffon mit einem Spitzenkragen gekleidet, in einem zerbrechlichen, ältlichen Korbsessel mit völlig überflüssigen Schondeckchen und wiegte ein Gewehr in ihrem Schoß, das Kommandant van Heerden und sogar Wachtmeister Els total aus der Fassung brachte und das nur zu gut die Szene der Verwüstung erklärte, die sich jenseits von Fünfpennys verrenkter Gestalt und dem büstenlosen Sockel zeigte. Es war eine vierläufige Büchse von fast zwei Metern Länge, deren Kaliber einen so großen Durchmesser hatte, daß einem unwillkürlich eine der Lieblingswaffen Sir Theophilus’ in den Sinn kam, nämlich die zehnzöllige Schiffskanone. Kommandant von Heerdens erfahrenes Auge sagte ihm sofort, daß es sich hier um keine Standardfeuerwaffe handelte, die zur Selbstverteidigung zugelassen war.
    »Das ist die Mordwaffe«, sagte Miss Hazelstone, die offenbar seine Gedanken las. Sie tätschelte die vier Gewehrläufe, und van Heerden sagte sich, daß sie offensichtlich wild entschlossen sei, keine Stelle der Waffe ohne ihre Fingerabdrücke zu lassen. Der Kommandant blickte vorsichtig auf das Gewehr. »Was ist das denn für eins?« fragte er schließlich. »Das ist eine automatische, mehrläufige Elefantenbüchse«, erwiderte Miss Hazelstone. »Sie wurde von meinem Vater, dem seligen Richter Hazelstone, entworfen und nach seinen Angaben gebaut. Ihre Feuergeschwindigkeit beträgt vierzig Schuß pro Minute, und einen angreifenden Elefanten kann sie auf tausend Meter außer Gefecht setzen.«
    Van Heerden äußerte die Ansicht, daß es wohl unnötig sei, Elefanten auf tausend Meter Entfernung zu töten. Er brachte es nicht übers Herz, die Formulierung »außer Gefecht setzen« zu verwenden. Sie wirkte unangemessen schlicht. »Wegpusten«
    erschien ihm viel passender.
    »Mein Vater war ein miserabler Schütze«, fuhr Miss Hazelstone fort. »Außerdem war er ein grauenhafter Feigling.«
    »Einen Menschen, der dieses Gewehr abfeuert, kann man unmöglich einen Feigling nennen«, sagte der Kommandant so galant wie wahrheitsgemäß. Er fing allmählich an, das Gespräch recht erholsam zu finden. Der Mord hatte Miss Hazelstone offenbar einen ganz ungewohnt menschlichen Zug verliehen. Sie behandelte ihn mit nie gekannter Höflichkeit. Der Kommandant beschloß, daß die Zeit gekommen sei, die Verteidigung von Miss Hazelstones Unschuld wiederaufzunehmen.
    »Dieses Gewehr ist viel zu schwer für eine Frau ... pardon, für eine Dame wie Sie«, sagte er und bereute seine Bemerkung fast so schnell, wie er sie gemacht hatte. Es war klar, daß Miss Hazelstone auf jede Herausforderung antworten würde. Sie stand von ihrem Sessel auf und zielte mit der riesigen Büchse in den Garten.
    Der Kommandant hatte nicht mit der Möglichkeit gerechnet, daß sie das Ding vielleicht auch abfeuern könnte. Wachtmeister Els dagegen handelte ausnahmsweise mal mit größerer Behendigkeit und warf sich auf den Boden. Daß der Boden, den er sich dafür aussuchte, bereits von einem großen Dobermannpinscher belegt war und daß der Hund es vorzog, Wachtmeister Els das Recht streitig zu machen, mit seinem Bauch auf ihm zu liegen, und daß sowieso alle südafrikanischen Hunde darauf dressiert sind, Leute schwarzer Abstammung zu beißen, und daß Wachtmeister Els genügend schwarzes Blut besaß, um das Beißen auf Verdacht zu rechtfertigen, all das entging Kommandant van Heerden, als Miss Hazelstone, bald auf die Erde, bald in den Himmel zielend, auf den Abzug drückte.
    Der Kommandant, der keinen halben Meter rechts von den vier Gewehrläufen und fast auf der gleichen Höhe mit ihren Mündungen stand und der nur einen Augenblick vorher ein vernünftig denkender Mensch im Vollbesitz seiner Sinne gewesen war, hatte plötzlich den Eindruck, in einer riesigen und sich rasend schnell ausdehnenden Feuerblase zu stehen. Die ganze Welt um ihn herum, der Garten, der Himmel, die zwitschernden Vögel, selbst das Geschrei von Wachtmeister Els, den der Dobermann in der Mache hatte, alles versank. Kommandant van Heerden erlebte lediglich die absolute Stille im lautlosen Inneren einer gewaltigen Explosion. Es gab keinen Schmerz, keine Angst, keine Gedanken mehr, nur noch die Gewißheit, nicht daß das Ende der Welt unmittelbar bevorstünde, sondern daß es bereits unwiderruflich da sei. Für einen kurzen Augenblick der Erleuchtung erlebte Kommandant van Heerden die höchste Form
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