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Tödliches Abseits (German Edition)

Tödliches Abseits (German Edition)

Titel: Tödliches Abseits (German Edition)
Autoren: Jan Zweyer
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von Schalke. Mit ihm und durch ihn. Mit Vater gemeinsam würde er einen neuen Fan finden, der seine Aufgabe übernehmen konnte. Und sie würden den neuen Fan dann zu allen Spielen ihres Vereins begleiten, ihn in seinen Entscheidungen unterstützen und ihn in der richtigen Ausübung der Rituale unterweisen. Mit Vaters und seiner Unterstützung würden dem neuen Fan die Fehler, die er selbst gemacht hatte, nicht unterlaufen. So konnten sie gemeinsam Schalke vielleicht noch einmal zum Gewinn des UEFA-Cups oder gar der Deutschen Meisterschaft führen.
    Ja, wenn er es sich recht überlegte, war dies die richtige Entscheidung.
     
    Einen Tag nach dem Gespräch mit Vater kündigte der Fan seine Arbeitsstelle und seine Wohnung. Er erwog, seiner Mutter einen Besuch abzustatten und ihr alles zu erklären, verwarf diese Überlegung jedoch wieder. Vater hatte ihm erzählt, dass Mutter schon früher nicht verstanden hatte, dass die Samstage Schalke gehörten. Sie würde Vaters und seinen Entschluss nicht nur missverstehen, sondern auch nicht billigen.
    Seine gesamte Kleidung fand Platz in drei großen blauen Kunststoffsäcken. Er trennte sich ohne zu zögern davon. Etwas schwerer fiel es ihm, auf seine Schalke-Bettwäsche zu verzichten. Und als ihm Vater sagte, er müsse seine Sammlung von Videokassetten, Trikots und die Alben mit seinen in langen Jahren angehäuften Erinnerungsstücken ebenfalls aufgeben, zögerte er und wollte Vaters Rat nicht folgen. Vater beruhigte ihn und erklärte ihm sanft, aber eindringlich die Notwendigkeit, jetzt so zu handeln. Der Fan gehorchte. Nur einen königsblauen Schal schlug er sich um den Hals.
    Nach neun Stunden erinnerte nichts mehr in der Wohnung des Fans daran, dass hier einmal ein Schalker gelebt hatte. Der Kühlschrank war leer und ausgeschaltet, die Tür geöffnet. Der Müll ordnungsgemäß entsorgt. Die Bilder von Schalke waren abgehängt und in seinem Wagen verstaut. In den Schränken fand sich nichts. Kein Kleidungsstück, keine Wäsche.
    Der Fan hätte die Wohnung gerne vollständig ausgeräumt, aber Vater meinte, dass langsam die Zeit knapp würde.
    Zehn Minuten, bevor mit quietschenden Reifen zwei Einsatzfahrzeuge der Gelsenkirchener Polizei vor seiner Haustür hielten, fuhr der Fan zur nächsten Tankstelle, füllte seinen Tank und Reservekanister und machte sich auf den Weg in Richtung Herten. Kurz hinter Gelsenkirchen-Resse bog er rechts ab zur Zentraldeponie Emscherbruch.
    Dort zeigte er am Eingang auf seine Ladung; gab an, es würde sich um gewerblichen Müll handeln, und erhielt die Erlaubnis, diesen gegen Zahlung einer angemessenen Gebühr auf der Halde abzuladen. Er fuhr mit seinem Wagen, so weit er konnte, lud sein Eigentum aus, warf auch Personalausweis, Führer- und Fahrzeugschein auf den Haufen und übergoss alles mit dem mitgebrachten Benzin. Dann setzte er alles in Brand. Der Qualm war weithin sichtbar.
    Bevor er jedoch von den Müllwerkern zur Rechenschaft gezogen werden konnte, setzte sich der Fan wieder in sein Fahrzeug und verließ die Deponie.
    Über die A 2 und A 43 erreichte er die Ruhr-Universität Bochum. Der Fan hatte die Universität einmal besucht, weil Teile der Schalker Mannschaft hier eine Autogrammstunde hatten geben sollen. Damals war er Stunden in dem Gebäudekomplex umhergeirrt, bis ihm klar geworden war, dass ihm Arbeitskollegen einen üblen Streich gespielt hatten. Zwar zweifelte er daran, dass Vater mit der Wahl des Ortes Recht hatte, aber er schwieg.
    Seinen Golf parkte er auf einem der Parkplätze im Süden des Geländes. Sorgfältig durchsuchte er den Wagen, ob sich hier noch irgendetwas befand, was auf seine Identität hindeuten könnte. Er entdeckte nichts.
    Der Fan schloss ab und warf den Wagen- und die Wohnungsschlüssel in einen Gully. Dann betrat er das Gebäude GC, benötigte einige Zeit, bis er den Aufzug fand, und drückte, als die Kabine auf seiner Ebene hielt, den Knopf für die höchste Etage.
    Oben angekommen bemühte er sich vergeblich, ein Fenster zu öffnen, um auf die das Gebäude umlaufende Balustrade zu gelangen. Kurz entschlossen nahm er einen Stuhl und zerschlug eine Fensterscheibe.
    Er kletterte nach draußen, überstieg die Balustrade, beugte sich nach vorne und hielt sich mit der rechten Hand fest.
    Sven Kamenz sah nach oben. Der Himmel war strahlend blau. Königsblau. Nur kurz dachte er noch einmal an seine Mutter. Dann sagte Vater, dass er loslassen solle. Er hatte immer auf Vater gehört. Nur einmal nicht.
    Vater
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