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Tödlicher Kick

Tödlicher Kick

Titel: Tödlicher Kick
Autoren: Lucie Flebbe
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Betten liegen sehen. Das waren wohl die besonders kritischen Fälle. Auf diese Weise konnten die Pflegekräfte im Vorbeigehen kontrollieren, ob alles in Ordnung war.
    Die Vorhänge von Zimmer Nummer 646 waren zur Seite gezogen. Danner blieb in der Tür stehen und versperrte den Weg.
    Das Brummen, Zischen und Piepen der Apparate war bis auf den Flur zu hören. Der gläserne Teil der Wand gab den Blick auf ein gigantisches, von blinkenden Maschinen umringtes Pflegebett frei. Auf ein aufgebauschtes, weißes Kissen, in dem ein eingefallenes, graues Gesicht mit fusseligem Haar versank. Und auf ein dünnes Laken, unter dem sich die Konturen eines knochigen Körpers abzeichneten.
    Danner rührte sich nicht.
    Sein Vater zeigte ebenfalls keine Regung. Speichel rann ihm aus dem offen stehenden Mund, seine knochigen Hände hatte eine heftige Spastik im dauerhaften Krampf auf die magere Brust gepresst.
    Ich versuchte mir vorzustellen, wie es mir an Danners Stelle in diesem Augenblick gehen würde. Wenn mein Vater vor mir im Bett liegen würde, nur noch von Maschinen am Leben gehalten.
    Mein Vater …
    Die Faust zuckt auf mich zu. Ich weiß genau, dass ich mich nicht rechtzeitig wegdrehen kann. Es knackt, als der Schlag meine Wirbelsäule trifft. Der Schmerz rast meinen Rücken hinab, dunkle Punkte tanzen vor meinen Augen. Als ich zu Boden falle, glaube ich einen Moment lang, mir einen Querschnitt eingehandelt zu haben.
    Rasch verdrängte ich die Erinnerung an die jahrelangen Prügel. Ich wollte mir einfach nicht vorstellen, dass mich das Schicksal meines Vaters irgendwie berühren könnte.
    »Ziemlich sicher willst du in so einem Moment aber nicht angegafft werden«, zickte mein Gewissen mich an. Das neugierige lila Teufelchen in mir hielt zur Abwechslung mal seine große Klappe.
    Ich wandte mich ab und entfernte mich.
    Ein Stück den Flur hinunter, neben einem Wasserspender standen zwei abwischbare Plastikstühle. Auf der Sitzfläche des linken war eine zerfledderte Klatschzeitschrift liegen geblieben. Ich ließ Wasser in einen Einwegbecher laufen.
    Danners Situation ließ sich mit meiner eigenen natürlich nicht vergleichen. Auch wenn sein Verhältnis zu seinem Vater ebenfalls nicht von Zuneigung geprägt war. Achtzehn Jahre lang hatte Gerhard Danner seine Familie mit seiner Alkoholsucht terrorisiert, dann war Danners Mutter Richtung Frankreich verschwunden. Kurz darauf hatte auch Danner den Kontakt abgebrochen.
    Sein Vater hatte unbeeindruckt weitergesoffen. Schon vor Jahren war es ihm gelungen, sein Resthirn endgültig im Schnaps zu ertränken. Seitdem holte sich das Sozialamt das Geld für das Pflegeheim von Danner zurück.
    Meine Neugier hatte mich in Sichtweite zu Zimmer 646 zurückgetrieben. Mit dem Wasserbecher in der Hand beobachtete ich durch die Glasscheibe, wie Danner zwei Schritte näher an das Krankenbett herantrat.
    Das Klackern von Schuhabsätzen lenkte meine Aufmerksamkeit zurück in den Flur. Eine Ärztin kam mit offenem, nach hinten wehendem Kittel auf mich zu. Ihre langen, dunkelbraunen Haare trug sie hochgesteckt, doch der vordere Teil der Frisur hatte sich aufgelöst und fiel ihr ins Gesicht. Sie war noch jung, Anfang dreißig vielleicht, und trug einen knallroten Lippenstift. Ihr Stethoskop wippte auf einer beachtlichen, aber unter dem Kittel irgendwie verrutschten Oberweite auf und ab.
    Sie nickte mir zu und klackerte an mir vorbei, hinein in Zimmer 646.
    »Herr Danner?« Sie sprach Danner so laut an, als wollte sie ihn erschrecken.
    Danner drehte sich um.
    »Ich bin Marianna Stefanowa. Ich habe Ihren bedauernswerten Herrn Papa vorhin aufgenommen.«
    Danner runzelte die Stirn, gab Marianna aber brav die Hand.
    Reflexartig drückte die Ärztin den Rücken durch und schob sich ein wenig näher an ihn heran. Ihre nach oben geschraubte Oberweite richtete sich auf Danners Gesicht.
    Ich tippte auf eine Korsage unter dem Kittel. Vielleicht sogar so ein Lack-und-Leder-Teil mit eingenähten Eisenstäben, die tiefes Einatmen zuverlässig verhinderten. Reichlich unpraktisch für die Arbeit. Es sei denn, ein fescher Assistenzarzt fesselte sie hin und wieder an ein leeres Pflegebett.
    In diesem Moment registrierte die Ärztin offenbar Danners Alkoholfahne und ging wieder auf Abstand.
    »Ihr Vater hat heute Mittag einen schweren Schlaganfall erlitten.« Der rollende, osteuropäische Akzent verlieh ihrer Stimme einen angenehm weichen Klang, der ganz gut zu ihren vollen, roten Lippen passte. »Leider scheint sich
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