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Tödlicher Kick

Tödlicher Kick

Titel: Tödlicher Kick
Autoren: Lucie Flebbe
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1.
    Mein Name ist Lila, ich bin zwanzig Jahre alt und ich hätte, wäre es nach meiner Mutter gegangen, Konzertpianistin werden sollen. Oder Primaballerina. Oder wenigstens Dressurreiterin.
    Mein Vater wollte eine Staranwältin aus mir machen, doch meine Mutter hatte davon geträumt, dass ich einen musisch-künstlerischen Beruf ergriff. Denn so hätte ich legitimen Zutritt zum Blingbling der Glitzerwelt der Reichen und Berühmten erhalten. Um mir dort einen noch reicheren und berühmteren Ehemann zu angeln, zwei bis fünf blonde, begabte Enkel in die Welt zu setzen und mich den Rest meines Lebens deren künstlerischer Förderung zu widmen.
    »Tooooor!« Danner und Staschek rissen jubelnd die Arme in die Höhe. Gemeinsam mit 29.922 anderen, überwiegend blau gekleideten Menschen.
    Ehe ich realisierte, was passierte, hatte Danner mich hochgehoben. Bier schwappte aus dem Plastikbecher in meiner Hand. Musik übertönte den ohrenbetäubenden Applaus.
    »Das Tor schoss für uns Justiiiiiiin …?«, fragte der Stadionsprecher.
    »Jankowski!!!«, antworteten die Fans, während Danner mich küsste.
    Der Bierbecher fiel zu Boden und kullerte die Betonstufen hinunter, zwischen die Füße der VfL -Fans in der Ostkurve des Bochumer Rewirpowerstadions.
    Das Stadion drohte zu bersten. Der Jubel schäumte weiter hoch, die Trommeln, die sich irgendwo zwischen den Fans befanden, übertönten alles. Konfetti flog in Richtung Spielfeld. Unten auf dem Rasen schlug der glückliche Schütze einen Salto, bevor sich seine Mannschaftskameraden auf ihn stürzten.
    Meine Mutter hätte vor Entsetzen einen Herzinfarkt vorgetäuscht, hätte sie gewusst, dass ich mit einem Fanschal um den Hals und einem Brötchen mit Bratwurst in der Hand den Ausgleichstreffer einer zweitklassigen Fußballmannschaft bejubelte.
    Doch ich musste zugeben: Der erste Stadionbesuch meines Lebens gefiel mir besser, als ich erwartet hatte. Während die Spieler unten im Regen um den Ball kämpften, saßen wir auf den Tribünen im Trockenen. Und der Spielverlauf war nervenzerfetzend.
    Für den Verein ging es um alles: Der VfL hatte es als Tabellendritter endlich in die Relegation geschafft. Ein Sieg bedeutete den lang ersehnten Aufstieg zurück in die erste Liga!
    Mit dem Argument, auch wir müssten die Bochumer Jungs moralisch unterstützen, hatten mich Danner und Staschek ins Stadion geschleppt. Dabei zählten die beiden selbst nicht zu den hartgesottenen Dauerkartenbesitzern, deren Treue auch die dreihundertsechsundfünfzigste Heimniederlage in Folge nicht wanken ließ.
    Heute werde jeder Fan gebraucht, hatte mich Danner aufgeklärt, denn der Gegner würde ebenfalls mit ›Rückendeckung‹ anreisen. Die Bedeutung dieser Worte hatte ich massiv unterschätzt, bis ich die ›Rückendeckung‹ seitlich vom gegenüberliegenden Tor sah: Die andere Mannschaft war mit der kompletten eigenen Fankurve angereist.
    Okay, das war kein allzu großes Kunststück, denn von Gelsenkirchen bis zur Castroper Straße brauchte man mit der Straßenbahn keine halbe Stunde. Und wenn Schalke heute verlor, ging es für den Traditionsklub abwärts. Die zweite Liga winkte ihnen zu.
    Allerdings reichte den Schalkern, die im weißen Auswärtstrikot spielten, ein Unentschieden, um den Klassenerhalt zu schaffen.
    Bochum hingegen musste gewinnen. Selbstverständlich war das Stadion ausverkauft.
    Danner fügte sich in die Fanreihen der Ostkurve ein, als wäre er an der Castroper Straße so lange zu Hause wie der Fußballverein selbst. Und das lag nicht nur an der Mütze mit Glück-auf -Aufdruck, die er sich über seine Glatze gezogen hatte, und dem blauen Shirt mit der Aufschrift Bochumer Junge, das in der Fankurve die Wirkung einer Chamäleonhaut zeigte. Danner war nur unwesentlich größer als ich, durchtrainiert und unrasiert – mit dem biergefüllten Plastikbecher in der Hand konnte es leicht passieren, dass ihn die Fußballhooligans zu einer fröhlichen Schlägerei einluden.
    Das würde Danners Kumpel Kriminalkommissar Lennart Staschek garantiert nicht passieren. Der wirkte trotz des blauen VfL -Buttons an seinem Achthundert-Euro-Kaschmirmantel, als hätte er sich auf dem Weg zum Golfplatz verirrt. Sein kastanienfarbenes Haar war wie immer perfekt geföhnt, das schmale Gesicht glatt rasiert und der Duftwolke von teurem Parfum, in die er sich hüllte, konnte nicht einmal der Geruch von verschüttetem Bier etwas anhaben.
    » VfL, wir werden immer zu dir stehen!«, hatten die Anhänger des Vereins vor
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