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Toedliche Hoffnung

Toedliche Hoffnung

Titel: Toedliche Hoffnung
Autoren: Tove Alsterdal
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lebte tatsächlich dort drinnen.
    »Ein aufgeweckter kleiner Spatz«, sagte er und riss ein Stück Zelltuch von einer Rolle ab und reichte es mir. »Wollen Sie wissen, was es wird?«
    Ich wischte mir die Schmiere vom Bauch. Ein Spatz?
    »Ja, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird«, sagte er.
    Ich schüttelte den Kopf. Junge oder Mädchen, was spielte das schon für eine Rolle. Beide brauchten Essen und ein Dachüber dem Kopf. Schlimmstenfalls auch ärztliche Hilfe. Die letzten Monate bis zur Geburt waren wie eine tickende Zeitbombe, die mich stets daran erinnerte, was ich noch alles erledigen musste.
    Ich stieg von der Liege herunter, steif und schwerfällig.
    »Ich notiere den vierten Mai als Termin«, sagte er. »Das heißt also, dass sie in der zwanzigsten Woche sind.«
    Ich zog das Kleid mit dem Gummibund und die dicken Strumpfhosen wieder an.
    »Also ist es völlig ... gesund?«, fragte ich und warf einen Blick auf den Schirm. Er hatte das Bild gestoppt, sodass der Embryo in einem soeben vergangenen Augenblick festgehalten wurde. Ein Drucker war gerade dabei, eine Kopie zu erstellen.
    »Machen Sie sich Sorgen?« Er runzelte die Stirn. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
    »Wahrscheinlich bin ich einfach nur nervös«, sagte ich. Die Erinnerung flimmerte durch meinen Kopf. Ich dachte an Mörtel und Stein an meinem Gesicht, an den Mann, der sich zwischen dem Gestrüpp über mich warf. Es rief keine Gefühle in mir hervor. Als wäre es jemand anderem passiert.
    »Sie sehen etwas blass aus«, sagte er und fügte hinzu, dass ich irgendwelche Sachen essen müsse, die ich nicht verstand. Ich speicherte die Wörter in meinem Kopf, um sie später in dem Lexikon nachzuschlagen, das in meiner Tasche lag. Langsam fand ich wieder in die Sprache zurück, obwohl ich mich wohl immer noch gerade einmal auf dem Niveau einer Sechsjährigen ausdrücken konnte.
    »Geben Sie das hier der Sprechstundenhilfe, dann wird sie einen Termin für die nächste Kontrolle mit Ihnen vereinbaren«, sagte er und gab mir das Ultraschallbild, auf dem das Datum der Untersuchung stand.
    »Und bis dahin bleibt mir nur, Ihnen alles Gute zu wünschen!«
    Als ich das Sprechzimmer verlassen hatte, steuerte ich geradewegs auf die Toilette zu und holte mein Lexikon hervor. Bílkoviny war Eiweiß und Zˇelezo Eisen.
    Vrabec bedeutete tatsächlich Spatz. Ein Vogel, der sich danach sehnte, hinauszufliegen. Ungeduldig pickend.
    An der Anmeldung reichte mir die Sprechstundenhilfe ein Formular.
    »Ich habe gehört, dass man hier ... unsichtbar sein kann«, sagte ich. Anonym war das Wort, nach dem ich suchte, doch ich kam nicht darauf, was es auf Tschechisch hieß. Der Arzt hatte versucht, deutsch mit mir zu sprechen, als er meinen holprigen Akzent hörte, aber das war noch schlimmer.
    Die Sprechstundenhilfe warf mir einen Blick über ihren Brillenrand zu.
    »Trotzdem brauche ich Ihren Namen und Ihr Geburtsdatum. Und eine Telefonnummer, unter der wir Sie erreichen können, wäre auch hilfreich. Wir geben keine Daten weiter, wenn Sie das nicht möchten.«
    Ich blickte auf das Formular. Es gab Felder für Namen, Geburtsjahr, Adresse und Staatsangehörigkeit und ein Feld, das mir höhnisch entgegensprang: Vater.
    Ich kritzelte die gewünschten Informationen nieder.
    »Telefonnummer ... die ist nur vorübergehend«, sagte ich.
    Die Sprechstundenhilfe prüfte meine Angaben – beunruhigend genau.
    »Terese Wallner«, las sie. »Und Sie sind 1978 geboren?«
    »Mm«, antwortete ich diffus und hoffte, dass ich meinen Pass nicht würde vorzeigen müssen, laut dem ich 1988 geboren und letztes Jahr zwanzig geworden war. Ally Cornwall war im Alter von vierunddreißig Jahren verschwunden. Ich war klein und hatte ein Aussehen, an das man sich nicht erinnerte, das sich verändern ließ. Mit dem richtigen Make-up konnte ich in jedem Alter zwischen zwanzig und fünfundvierzig sein. Das hatte bei meiner Vermieterin gewirkt, und bei der Jobsuche hatte es niemanden interessiert. Ein Pass aus einem EU-Land war gut genug. Jemand mit einer Ausbildung im Gesundheitswesen würde jedoch nie darauf hereinfallen. Bis zur Geburt musste ich mir einen neuen organisieren. Ich musste mich bald deswegen umhören.
    Der Vorteil wäre, dass ich mein Haar dann nicht mehr im Ton Nordisches Sommerblond färben müsste. Eine unnötige Ausgabe.
    Ich zog mein Portemonnaie hervor und zahlte die Behandlungsgebühr. Während die Sprechstundenhilfe das Geld in die Kasse zählte, betrachtete ich das Formular vor
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