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Toedliche Hoffnung

Toedliche Hoffnung

Titel: Toedliche Hoffnung
Autoren: Tove Alsterdal
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Wirtschaftsuniversität, bis mir jemand einen Tipp für ein Zimmer gab, das zu vermieten war. Die Vermieterin war über siebzig und wohnte allein in einer Sieben-Zimmer-Wohnung. Ich teilte Küche und Bad mit zwei Studenten aus Dresden, zu denen ich »Guten Morgen« oder »Gute Nacht« sagte, wenn wir uns trafen. Bald wäre ich gezwungen, etwas anderes zu suchen, am liebsten eine eigene Wohnung, aber es war schwer, etwas Günstiges zufinden. Die alte Vermieterin hatte deutlich gemacht, dass sie kein Kindergeschrei in der Wohnung dulden würde. Sie vermisse Husák, sagte sie, die alten Zeiten, wo alles noch seine Ordnung hatte. Damals brauchte sie noch keine Untermieter, um über die Runden zu kommen.
    Ich sprach nie länger als absolut notwendig mit einem anderen Menschen, nicht einmal beim Einkaufen. Das Risiko, enttarnt zu werden, war immer gegenwärtig, und die einzige Möglichkeit, das zu umgehen, war die Einsamkeit.
    Manchmal bekam ich Lust, Benji anzurufen und einfach nur aus Freude zu sagen: Hallo, ich bin es.
    Aber die Organisation konnte Gespräche nachverfolgen und Menschen aufsuchen, die ich kannte. Unter keinen Umständen durfte ich Kontakt mit jemandem aus meinem alten Leben aufnehmen.
    Mitunter dachte ich: Eine Person gibt es. Wenn sie noch lebt. Einen Menschen, den niemand jemals mit Alena Cornwall in Verbindung bringen könnte, weil nicht einmal ich wusste, wie er hieß.
    Aber in irgendeinem Register musste sein Name stehen.
    Nicht jetzt, dachte ich, aber irgendwann, vielleicht. Wenn ich meine Tage darauf verwenden kann, in staubigen Archiven zu wühlen. Wenn ich es mir wieder leisten kann, an mich zu denken.
    Ich eilte die steilen Straßen der Kleinseite hinab, so rasch ich konnte. Dies war ein Stadtteil, in dem ich nie zuvor gewesen war. In einer heruntergekommen, kleinen Bar kaufte ich mir einen Hamburger zum Mitnehmen. Bílkoviny und Z ˇelezo. Eiweiß und Eisen.
    Unten am Fluss hielt ich abrupt an. Auf der anderen Seite des Ufers glitzerte Nové M ˇ esto mit Weihnachtsschmuck. Es war so kalt, dass die Luft stillstand, und das Wasser floss träge wie dickflüssiges Öl.
    Die Häuser auf der anderen Seite. Ich erkannte sie so gut wieder. Das schwarze Wasser. Und ein Boot, das am Kai entlangglitt.
    Es war anders, dennoch war ich mir sicher, dass wir genau hier gestanden hatten. Damals vor dreißig Jahren, in meiner einzigen Erinnerung. Als er mich mit seinen starken Händen an der Taille gefasst und mich hochgehoben hatte, damit ich die Schiffe besser sehen konnte.
    Ich trat einige Schritte zur Seite. Genau hier. Ich starrte auf die dunkle Wasseroberfläche, der Verkehrslärm verschwand und ich hörte einen Ton in meinem Kopf, eine dunkle Stimme hinter mir, wie eine Liebkosung im Nacken.
    In der Schule werden sie dir erzählen, dies sei die Vltava, ...
    Seine Stimme! Warm und dicht an meinem Ohr, als er mich so hochhielt, dass ich etwas sehen konnte. Und das Boot dort unten war klein, nur ein altes Männlein darauf, mit einer Mütze auf dem Kopf.
    ... aber in Wirklichkeit sind das alle Flüsse der Welt. Denn die Vlatva fließt in die Elbe und setzt ihren Weg nach Nordwesten fort bis zur Nordsee, vereint sich mit dem Atlantik, und alle Meere der Welt und alle Flüsse sind miteinander verbunden, alles ist ein einziges Gewässer.
    Und ich sehe den Hauch, der an meinem Ohr vorbeiweht, es ist der Dampf seines Atems, denn es ist kalt, und ich atme ebenfalls aus und lache, als sich der Hauch aus meinem Mund mit seinem vermischt.
    Wir sind auch Wasser, sagt er. Mehr als aus allem anderen bestehen wir aus Wasser.
    Ne, sage ich. Nijak ne.
    Und ich lache über diese Dummheit, ich bin doch wohl kein Wasser, und ich drehe mich zu ihm, um es ihm zu sagen, und da sehe ich ihn.
    Ich sehe ihn.
    Etwas schiefe Zähne und dünne Lippen, er wirbelt mich herum, sodass ich in seine Augen sehen kann, sie sind braun, und das Tuch, das er um den Hals trägt, ist blau, mein Gesicht ganz nah an seinem. Ein Anflug von Ernst, etwas Schwarzes in seinen Augen.
    Traue dem nicht, was jemand zu dir sagt ... Alena milenka ...
    Dann lacht er erneut und hebt mich auf seine Schultern, ich schreie, weil ich wieder runter will und wissen, was er meint, ich verstehe es nicht.
    Doch er geht mit wippenden Schritten auf die Brücke zu und singt so laut, dass sich die Menschen nach ihm umdrehen.
    People are strange, when you’re a stranger
    Faces look ugly when you’re alone
    Und ich kenne den Text in- und auswendig, doch ich höre nicht Jim
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