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Toechter der Dunkelheit

Toechter der Dunkelheit

Titel: Toechter der Dunkelheit
Autoren: Alexandra Balzer
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sind auch nicht nur die Hexen, die in der Dunklen Nacht ihr Unwesen treiben, es gibt viele Kreaturen der Finsternis. Vielleicht wäre es klüger, wenn du morgen in den Wald gehst? Denk an Inani!“
    „Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen“, murrte das Mädchen, allerdings vorsichtshalber so leise, dass der schwerhörige Priester sie nicht verstehen konnte. Shora drückte dennoch ihre Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Inani wäre fähig mit ihm ein Streitgespräch darüber zu beginnen, dass sämtliche Kreaturen der Finsternis – abgesehen von den Hexen – nur Einbildung und Aberglauben waren.
    „Ich schätze deine Sorge, Nuram, du bist sehr aufmerksam. Wir werden nicht weit gehen, bloß bis zur Tannenlichtung, und zum Sonnenuntergang zurück sein.“
    „Darf ich euch heute Abend zum Essen einladen? Ich habe von Burut wunderbaren Speck und Linsen geschenkt bekommen. Daraus wollte ich einen Eintopf kochen.“
    „Vielen Dank, das klingt gut“, erwiderte Shora höflich.
    Das freundliche Gesicht des Priesters begann zu strahlen.
„Ich kann also mit dir und Inani rechnen?“
    „Gewiss werden wir heute Abend durchgefroren und hungrig sein. Mit etwas Glück bekommst du noch Pilze für deinen Eintopf. Aber nun, wir müssen los.“ Shora nickte einen Abschiedsgruß, drehte sich mit Inani an der Hand um und marschierte zügig auf den Waldrand zu. Erst, als sie sicher außer Hörweite waren, lachte sie befreit auf.
    „Vorbei! Egal, was diese Nacht uns bringt, ich werde nicht länger die verliebten Blicke dieses Ti-Jüngers ertragen müssen!“
    „Du hast ihm Hoffnung gemacht.“ Eine helle Gestalt trat aus dem Schatten der Bäume hervor: Alanée, in ein weißes Kleid gehüllt, die silberhellen Haare flossen über ihre bloßen Schultern.
    „Ich habe ihm nichts versprochen. Wenn er meine Worte als Zustimmung auslegen wollte, ist das nicht meine Schuld.“ Shora umarmte die andere Frau, dann riss sie den Kipe von sich – das dunkelgraue Schultertuch, das ihren angeblichen Witwenstand kennzeichnete. Achtlos warf sie das wollene Tuch zu Boden. Es sollte den Dörflern als Zeichen dienen, dass ihr und Inani ein Unglück zugestoßen sein musste.
    „Falls Inani versagt, wird er sich um sie kümmern.“
    „Ein Sonnenpriester? Bist du sicher, dass er gut für sie wäre?“
    „Du kennst Inani. Er könnte sie zu nichts zwingen, was sie nicht will. Außerdem ist Nuram kein Wolf seines Herrn, nur ein harmloser Welpe. Der beißt nicht.“ Shora wandte den Kopf, als sie Inani missbilligend schnauben hörte.
    „Reden wir über deinen Kopf hinweg, Liebes?“, fragte Alanée nachsichtig lächelnd. Eine Weile schwiegen nun alle drei, während sie den von unzähligen Füßen hart getrampelten Forstweg verließen und durch das verwelkende, nasse Unterholz schritten. Shora und Alanée nickten einander heimlich zu, in Anerkennung über Inanis tapfere Versuche, ebenso leicht und lautlos zu gehen wie die erwachsenen Frauen.
    „Ist sie bereit?“ Alanée sprach nun in Is’larr, der geheimen
    Sprache der Dunklen Schwestern, die Inani kaum beherrschte.
    „Sonst hätte ich den Rat um Aufschub gebeten, das weißt du genau. Ich habe nicht vor, mich zu blamieren. Wenn sie scheitern sollte, dann nicht, weil sie schlecht vorbereitet war.“
    „Was denkst du – wird sie scheitern?“
    Shora zögerte lange, bevor sie antwortete. Während sie durch Farne und an Baumschösslinge vorbei schritten, woben die beiden Hexen magische Muster, die das Gefüge der Welt veränderten.
    Mit jedem Atemzug, jedem Schritt, entfernten sie sich von Enra, der wahrhaftigen Welt. Sie hoben den Schleier, der sie in das Reich dazwischen brachte. Nebel wallte um sie herum, wurde immer dichter. Die Frauen kümmerten sich nicht darum. Inani hingegen, die diesen Nebel nur aus den Erzählungen ihrer Mutter kannte, war sichtlich beeindruckt: Mit großen Augen starrte sie in die tiefgrauen Schwaden, verwirbelte sie verzückt lächelnd mit den Händen. All dies hätte auch in einem einzigen Atemzug geschehen können, doch Shora wollte das Mädchen diesen ersten Schritt in die geheime Welt genießen lassen.
    „Ich bin nicht sicher, Alanée“, murmelte Shora schließlich. „Sie ist von ungewöhnlich starker Liebe zu allem Lebendigen erfüllt. Ich weiß nicht, ob Mitgefühl für sie wichtiger als das Gleichgewicht ist.“
    Inanis Hand suchte nach ihr, sie ergriff die bebenden Finger des Mädchens. Der Nebel war nun so dicht, dass sie blind laufen mussten. Es war
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