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Toechter der Dunkelheit

Toechter der Dunkelheit

Titel: Toechter der Dunkelheit
Autoren: Alexandra Balzer
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Holzschuhe nach dem Kopf der Frau. „Komm her, du musst helfen!“
    „Is’ eh zu spät“, murrte Mara verschlafen, gehorchte allerdings, wohl wissend, Linna würde sie sonst den Stock schmecken lassen.
    „Es ist zu spät, wenn ich es sage. Los, du bist stärker als ich, nimm sie unter den Armen! Sie muss stehen, damit das Kind tiefer rutschen kann.“
    Ächzend zerrten beide Frauen an der nun Bewusstlosen herum, bis sie halbwegs auf ihren Füßen stand.
    Ein Schwall tiefgrünes Fruchtwasser lief ihr die Beine hinab.
    Mara versuchte, ein Sonnenzeichen zu schlagen, ohne das Mädchen loszulassen.
    „Hol dich der Finstre, halt sie fest!“ Linna fluchte laut, als Mara nicht gehorchte. In diesem Moment kam Leben in Kelina: Sie riss die Augen weit auf und begann anhaltend zu schreien, bis eine Presswehe sie packte und mit Macht nach unten zog.
    „Gut, Mädchen, sehr gut!“, rief die alte Magd und ließ sie so langsam wie möglich zu Boden gleiten. Kelina schlug um sich vor Schmerz, bis sie lag, dann wurde sie wieder still.
    „Hol’s der Finsterling, da ist bestimmt was im Becken gebrochen“, murmelte Linna, doch da kam schon die nächste Wehe. Kelina schrie, bis ihre Stimme brach. Das Köpfchen des Kindes trat durch.
    „Lauf, Mara, hol den Priester. Mindestens einer von beiden wird diese Nacht nicht überleben, und wenn’s Kelina ist, soll sie gesegnet sterben!“, befahl Linna, während sie versuchte, das Kind aus dem Geburtskanal zu ziehen, ohne ihre Enkelin noch stärker zu verletzen.
    „Nicht für Gold und gute Worte geh ich da raus!“, rief Mara entsetzt. „Es hat Mitternacht geschlagen, hast du’s nicht gehört? Die Hexennacht, die Nacht der Toten ist gekommen!“ Sie bewegte ihre Finger fahrig als Sonnenkreis vor ihrer Brust.
    Doch als Linna schrie: „Mach, das du raus kommst hier! Es gibt keine Hexennacht, du dummes Ding!“, da rannte die junge Frau aus der Scheune. Sie würde nicht wiederkommen, sondern in der Küche des Haupthauses Schutz suchen, das wusste Linna selbst. Ganz so, wie sie es geplant hatte.
    Bei der nächsten Wehe zerrte sie rücksichtslos an dem Kopf des Kindes, ohne sich darum zu kümmern, ob sie es damit umbringen könnte – Kelina musste leben! Ein wimmerndes, blaugraues Etwas fiel zu Boden. Linna beachtete es nicht weiter, sondern warf hastig ein Stofftuch darüber.
    „Nun los, Mädchen, du bist frei, das Balg ist draußen. Nur noch die Nachgeburt, jetzt wird alles gut!“, flüsterte sie Kelina zu. Wie klein und jung sie aussah – genauso wie ihre Mutter damals, als man sie in das Grab gelegt hatte, kaum zwanzig Sommer alt.
    Als die Nachgeburt endlich zu Boden plumpste, erhob sich Linna steif. Sie wusch Kelina das Blut vom Leib, schlang ihr ein sauberes Leinentuch um die Scham, deckte sie warm zu. Mehr konnte sie für ihre Enkeltochter nicht tun, außer wachen, warten und beten. Davor aber kam die hässlichste Aufgabe in dieser Nacht an die Reihe. Sie durchtrennte die Nabelschnur und betrachtete zum ersten Mal ihre Urenkelin. Rote Locken umrahmten das winzige Gesicht, blaue Augen sahen neugierig zu ihr auf. Nicht der verschwommene Blick, den Neugeborene für gewöhnlich besaßen, die noch von den Lichtfeen träumten; nein, ein wacher, intensiver Blick, der bis in Linnas Seele zu forschen schien. Schaudernd wickelte sie das kleine Mädchen in ein Tuch, achtete dabei sorgfältig darauf, es nicht mit der bloßen Haut zu berühren. Dann hob sie es auf den Arm, packte die Nachgeburt und humpelte nach draußen in die Nacht. Dichte Nebelschwaden machten es unmöglich, auch nur auf zehn Schritt etwas zu erkennen. Linna sah noch nicht einmal das Haupthaus.
    „Hol’s der Finsterling“, murmelte sie, schlug im Geiste das Schutzzeichen und schritt mit zusammengebissenen Zähnen voran. Sie war hier geboren, kannte jeden Stein im weiten Umkreis. Undenkbar, sich hier zu verlaufen! Hinter dem Brunnen nach rechts, an der Scheune vorbei, den Pferdeställen, den Karrenpfad entlang. Zweihundert Schritt, dann kam der Waldrand.
    Sie hörte ihr Herz pochen, viel zu rasch. Ihren keuchenden Atem. Den leise wispernden Wind. Das Ächzen der Bäume. Unzählige Geräusche der Nacht.
    „Mich kriegt ihr nicht, ihr Todesgeister“, knurrte Linna. „Zweiundfünfzig Sommer habt ihr mich nicht gewollt, warum also gerade heute Nacht? Und ich habe ein Geschenk für euch, ein Hexenkind!“ Linna schreckte vor den dunklen Schatten zurück, die plötzlich vor ihr aufragten, aber es waren nur die Stämme
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