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Toechter der Dunkelheit

Toechter der Dunkelheit

Titel: Toechter der Dunkelheit
Autoren: Alexandra Balzer
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diesmal hielt Inani tatsächlich still.
    „Mutter, wird es sehr schwer?“, fragte Inani, die Stimme ungewöhnlich ernst und leise.
    „Nein. Entweder hast du es in dir, eine Dunkle Schwester zu werden, oder nicht. Ich habe dich gelehrt, deine Kräfte zu beherrschen, die Gesetze der Menschen zu achten, die
    vielfältigen Völker und Lebewesen zu begreifen. Du kennst die Götter und weißt genug über Enra, um überleben zu können. Entweder wirst du also morgen früh in die Gemeinschaft der Schwestern aufgenommen werden, oder ich nehme Abschied von dir und lasse dich bei den Menschen, falls es dir bestimmt sein sollte, dort deinen Lebensweg zu finden.“
    „Ich will bei dir bleiben! Ich gehöre zu dir, Mutter!“, begehrte das Mädchen wütend auf, wie immer, sobald das Gespräch, das sie schon so oft geführt hatten, an diesen Punkt kam.
    „Inani, zum letzten Mal, ich weiß nicht, ob du für das Leben unter Pyas Augen geschaffen bist! Wenn ja, werden wir beide zusammen bleiben und ihr gemeinsam dienen. Solltest du zum Gott des Lichts gehörst, würdest du an meiner Seite unglücklich werden. Sobald diese Nacht vergangen ist, wirst du verstehen, was ich damit meine, und nun Schluss damit!“
    Shora atmete tief durch, schluckte ihren Ärger hinunter und beendete ihr kunstvolles Flechtwerk. Der größte Teil der hüftlangen Haarpracht ihrer Tochter war nun zu einem siebenteiligen Zopf gebändigt, wie es die Sitte vorschrieb. Einige aufmüpfige Locken kräuselten sich jedoch um Stirn und Wangen des Mädchens, das in einer Mischung aus Vorfreude, Angst und Trotz zu ihr aufblickte.
    „Ich gehöre zu dir, Mutter, ob es dir passt oder nicht. Ich lasse nicht zu, dass du damals umsonst geschlagen wurdest.“
    Erschrocken fuhr Shora zusammen und packte Inani am Arm.
    „Woher weißt du das?“, zischte sie.
    „Ich habe gute Ohren und einen leichten Schlaf. Alanée wird nicht müde, es dir immer wieder vorzuhalten!“, fauchte Inani zurück.
    „Das ist wohl wahr.“ Shora dachte an die Stockhiebe, die Kythara ihr als Strafe auferlegt hatte dafür, dass sie ein Kind ohne nachzufragen für sich beansprucht hatte. Und für das, was sie sonst noch getan hatte. Eine demütigende, doch leichte Strafe. Hätte sie nicht in der Königin der Hexen eine wahre Freundin gehabt, wäre ihr der Tod gewiss gewesen.
     
    Seit damals hatte sich einiges geändert. War Kythara noch auf ihrer Seite?
    Alle werden neugierig sein, ob sie es schafft. Sollte sie abgewiesen werden, wird meine Position gefährdet sein. Viele warten auf einen Fehler von mir.
    „Bist du bereit für den Nebel?“, fragte sie laut.
    „Schon viel zu lange“, erwiderte Inani, und ihre eisblauen Augen glitzerten vor Aufregung.
    Göttin, wenn ich es nur sicher wüsste! Ist sie diejenige, die du mir bestimmt hast? Ist sie wirklich die Kriegerin, die ich in ihr sehe?
     
     
    Sie verließen das winzige Backsteinhäuschen am Rande des Bauerndorfes. Hier hatte Shora zwölf Jahre lang mit ihrer Ziehtochter unter gewöhnlichen Menschen gelebt, von jedem als ehrbare Witwe geachtet. Als fleißige und gottesfürchtige Frau genoss sie Ansehen in der Gemeinschaft, jeder schätzte ihre Töpfer- und Webarbeiten, die Seifen und Kerzen, die sie im Winter herstellte, den Honig, den sie im Sommer von wilden Bienenvölkern im Wald gewann. Mochte sie vielleicht auch etwas wortkarg sein, sich mit ihrer Tochter vom Dorfgeschehen eher fernhalten, das Werben verschiedener Männer freundlich abgelehnt haben: Shora und Inani waren allseits beliebt. An das Gerücht, dass in manchen Nächten Schatten um ihr Haus schlichen, glaubte niemand wirklich.
    „Wohin des Wegs, ihr Schönen?“ Nuram, der Dorfgeweihte, lächelte Shora freundlich zu. Der hochgewachsene, hagere Sonnenpriester war ein ältlicher Mann, der Shora besonders hartnäckig umworben hatte. Es war nicht unüblich, dass Ti-Geweihte dem strengen, asketischen Leben der Tempel entflohen und sich entlegene Dörfer suchten, in denen sie der Gemeinde und ihrem Gott dienten. Diesen Männern war es sogar gestattet zu heiraten und Familien zu gründen.
    „Wir gehen in den Wald, vielleicht finden wir noch ein paar späte Pilze.“
    „Denkt daran, heute ist die Dunkle Nacht, bleibt nicht zu lange aus.“
    Shora lächelte spöttisch. „Solltest du etwa an die Hexennacht glauben?“
    „Natürlich glaube ich nicht, ich weiß , dass es die Dunklen Schwestern gibt. Sie mögen sich verborgen halten, doch wer Augen hat zu sehen, spürt ihr Wirken. Es
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