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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit
Autoren: Jennifer Handford
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gemacht hatte, wanderte ich ziellos durch unser Haus mit seinen drei Schlafzimmer und Bädern, das wir nun schon seit sechs Jahren bewohnten. Ich öffnete alle Jalousien und sogar ein paar Fenster und spürte den frischen Wind an meinem Gesicht. Ich roch den Duft des nassen Rasens, schließlich hatte es letzte Nacht geregnet. Immerhin fühlte ich etwas.
    Ich ging nach oben und setzte mich an meinen Frisiertisch – diese Antiquität aus Walnussholz stammte angeblich aus der Zeit von Queen Anne –, den wir damals in Hongkong erworben hatten. Ich kramte in der oberen Schublade. Nagelneue Lippenstifte, Augenbrauenstifte und Rouge, alles natürlich von namhaften Designern wie MAC, Estée Lauder, Bobby Brown. Claire überhäufte mich regelmäßig mit Make-up und zwitscherte dabei fröhlich: »Eine Gratisprobe von Lancôme.« Es wäre nicht Claire, wenn die kleinen Döschen nicht eine ganze Reihe von Kommentaren begleitet hätten, von denen ich nicht einen hatte hören wollen. »Helen, wenn du deine Lippen in einem Tonumrandest, der etwas heller ist als dein Lippenstift, sehen deine Lippen viel voller und natürlicher aus.«
    Ich starrte in den ovalen Spiegel und machte eine Art Bestandsaufnahme von meinem Gesicht. Wieso war ich so verdammt blass? Nicht blass, eher grau. Die zarte Haut unter meinen Augen war fast schon durchsichtig, mal abgesehen von den tiefen Ringen, die sich dort abzeichneten. Meine Naturlocken, trocken und strubblig, wie sie waren, schrien förmlich nach einem Schnitt und einer Haarpackung.
    Claire war von einer natürlichen Schönheit, ganz das hübsche Mädchen von nebenan: ausgeprägte Wangenknochen, rosiger Mund, dickes, glänzendes Haar. Ich dagegen hatte etwas Exotisches an mir: dunkler Hauttyp, mandelförmige braune Augen und widerspenstiges Haar.
    Ich öffnete einen Lippenstift und betupfte meine Lippen mit rosa Farbe. Anschließend warf ich den Lippenstift in die Schublade zurück. »Immer wenn ich mich schrecklich fühle, schminke ich mich und ziehe mir etwas Hübsches an. Dann geht es mir gleich viel besser.« Typisch Claire. Ich drückte etwas hellbeigen Concealer mit dem hübschen Namen Disaster Cream aus der Tube auf meine Fingerspitze und trug ihn unter den Augen auf. Toll, jetzt sahen meine Augenringe irgendwie aus wie zermatschtes Obst, das mit Grundierung übermalt worden war.
    Ich nahm den Silberrahmen mit einem Bild von Tim und mir in die Hand. Es zeigte uns, wie wir Arm in Arm durch St. Tropez liefen und vor Glück strahlten. Ich trug ein türkisfarbenes Neckholder-Shirt und einen Wickelrock. Ich sah gut aus: straffe Haut, braun gebrannt und voll praller Gesundheit. Meine Locken hatte ich nach oben gebunden, nur ein paar rankten sich um mein Gesicht. Tim trug ein lachsfarbenes Tommy-Bahama-Hemd. Man sah uns an, dass wir jede Menge Spaß miteinander hatten und glücklich waren. Ich warf einen Blick auf das Datum – oben inder Ecke stand es: 2008, nur vier Jahre her. Damals war alles ganz anders.
    Wir hatten gerade erst damit angefangen, schwanger werden zu wollen. Wir probierten es erst seit vier Monaten, aber in mir keimte bereits die Angst auf, dass es nicht klappen könnte. Aus einer spontanen Laune heraus buchte Tim über seine Bonusmeilen einen Flug nach Südfrankreich, wo wir dann ein langes Wochenende verbrachten. »Hier werden wir schwanger«, hatte er mir ins Ohr geflüstert, während ich den herrlichen Sonnenuntergang genoss und bestätigend nickte. Ich war mir sicher, dass er recht hatte. Obwohl bereits die ersten Zweifel an mir nagten, war ich noch immer sehr optimistisch gestimmt. Nicht in meinen schlimmsten Albträumen hätte ich mir vorstellen können, dass ich vier Jahre später praktisch immer noch mit leeren Händen dastand.
    Tim und ich hatten uns in Lyon kennengelernt, wo wir beide die Kochschule besuchten. Die Ausbildung war auf zwei Jahre ausgelegt, der Schwerpunkt lag natürlich auf der französischen Kochkunst und der Patisserie. Am ersten Unterrichtstag, als ich dann an der Reihe war, mich vorzustellen, sagte ich, dass ich aus Arlington, Virginia, käme, zum ersten Mal in meinem Leben im Ausland sei und eine Schwäche für gutes Brot hätte. Und dass es eine meiner leichtesten Übungen sei, einen ganzen Laib auf einmal zu verputzen. Ich sah, wie Tim den Blick hob und mich anlächelte. Kurz danach war er an der Reihe. Er sah mir unverwandt in die Augen, als er verkündete, dass er aus Fairfax, Virginia, stamme, ein verwöhntes Einzelkind sei, dessen
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