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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit
Autoren: Jennifer Handford
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einen der Cranberry-Scones, die er früh am Morgen gebacken hatte. Nach meinem Rezept. Obwohl: Als ich noch die Bäckerin in unserer Familie war, hatte ich immer Johannisbeeren genommen. Wie auch immer, das Gebäck war sehr buttrig und fluffig, und die Preiselbeeren schmeckten lecker und waren ganz weich. Backen hatte für mich etwas von Alchemie. Ich fand es faszinierend, wie aus Hefe, Mehl und Flüssigkeit solche leckere Teilchen entstehen konnten. Mir gefiel aber auch, dass der Grat, der ein Wunderwerk von einer einzigen Katastrophe trennte, so schmal war. Dass alles Wissen dieser Welt einem nichts nutzte, wenn einem nicht auch noch das Glück winkte.
    »Mal sehen. Ich werde Wäsche waschen, ein paar Rechnungen überweisen und einkaufen gehen«, sagte ich und wollte ebenso rationell und durchgeplant klingen wie Tim. Doch wonach mir eigentlich der Sinn stand, waren mein Flanellpyjama, meine Daunendecke, ein paar von diesen leckeren Scones und ein Becher Kaffee. Im Schlafzimmer warteten so vieleSeifenopern, die ich aufgezeichnet hatte, auf mich, dass ich gut und gerne eine Woche im Bett verbringen könnte. Ich wollte die Anfangsmusik der
Springfield Story Light
hören, da sie mich so sehr an meine Mutter erinnerte, dass ich glaubte, sie spüren zu können.
    »Glaubst du, du kannst ins Restaurant kommen?«, wollte Tim wissen. »Du weißt, dass wir deine Hilfe immer brauchen können. Du könntest irgendetwas für das Dégustationsmenü heute Abend zusammenrühren.«
    »Ich weiß. Ich werde mal drüber nachdenken.«
    »Dir ist schon klar, dass es dir bestimmt guttäte, wenn du wieder in die Arbeit hineinschnupperst, oder?«
    »Soll heißen?«
    »Nur, dass es gut wäre, wenn du mal wieder aus der Wohnung gingst. Vielleicht fällt dir dann ja wieder ein, wie viel Spaß dir Backen eigentlich macht.«
    »Stimmt.« Ich erinnerte mich voller Wehmut daran, wie es sich angefühlt hatte, als ich den ganzen Morgen an meinem Arbeitsplatz stand – alles aus Edelstahl –, vor mir auf der riesigen Marmorplatte ordentlich gestapelt diverse Rührgeräte, Pfannen und Backbleche, darunter der Kühlschrank. Ebenso gut erinnerte ich mich allerdings auch daran, dass das Einsetzen meiner Periode an meinem letzten Arbeitstag einen Tobsuchtsanfall bei mir ausgelöst hatte und ich mit dem Brulée-Brenner eine Schoko-Nuss-Torte abgefackelt hatte.
    »Wir haben ein Probekochen um elf Uhr, für die große Show morgen«, sagte Tim. »Ich könnte deine Hilfe wirklich gut gebrauchen.«
    Nach einem mehr als löblichen Artikel über Tim und sein Restaurant Harvest in
The Washington Beat
genoss mein Mann seit letztem Jahr den Ruf eines Starkochs. Einmal die Woche bereitete er Gourmet-Häppchen vor, deren Rezept in der Tageszeitung
Good Morning Washington veröffentlicht wurde.
Letzte Wochehatte er die Foie gras scharf angebraten, auf eine auf den Punkt geröstete Scheibe Toast gelegt und mit Kaviar garniert. Melanie Mikonos, die wasserstoffblondierte Journalistin mit Körbchengröße C, stand anscheinend kurz vor dem Orgasmus, als sie Tims Kreation probierte und sich dabei an seinen Arm lehnte. Tim, der Bescheidene – die Sorte Mann, die tausendmal besser aussah, als sie von sich dachte –, zuckte nur die Schultern, als wäre das keine große Sache.
    »Ich fasse es einfach nicht, dass du dein Talent noch immer mit ›Probekochen‹ beweisen musst«, sagte ich und bereute meinen patzigen Ton sofort.
    Tim zog die Augenbrauen hoch, vermutlich weil er sich fragte, wo die Frau war, die er geheiratet hatte. Früher war ich witzig gewesen, doch jetzt beschränkte sich mein Repertoire auf bitteren Sarkasmus, als ob ich vergessen hätte, was Witz wirklich ist.
    »Tut mir leid.« Ich ging zu Tim und nahm seine Hand in meine. Ich brachte kein Wort heraus, weil mir ein verdammt dicker Kloß im Hals steckte.
    Tim küsste mich auf die Stirn und einen kurzen Moment wünschte ich, dass ich mich an seine Brust schmiegen und mich mit ihm im Bett vergraben könnte. Ich wünschte, dass alles wieder so wäre wie am Anfang, als wir uns gerade kennengelernt hatten. Gleich nach unserer Ausbildung in der Kochschule hatten wir beide – völlig pleite und bis über beide Ohren verliebt – uns auf nach Europa gemacht und lagen eng aneinandergeschmiegt in unserer Schlafkabine, während der Zug durch die Nacht donnerte. Damals war unser Kinderwunsch nur eine vage Fantasie gewesen. Mal wohnten wir in Washington, mal in Paris. Unsere Kinder würden ja so was
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