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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit
Autoren: Jennifer Handford
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College.
    Larry tauchte zwischendurch immer mal wieder auf und verschwand dann wieder. Claire hielt ihn auf Abstand und kam immer gleich zur Sache. Sie drückte ihm einen Stapel Rechnungen in die Hand, die sie vorgestreckt hatte, und wollte das Geld von ihm zurückhaben. »Ich habe jemanden beauftragt, dass er die losen Steine am Bürgersteig befestigt. Ich war mir nicht sicher, ob du das so gewollt hättest. Aber ich wollte einfach nicht, dass jemand hinfällt und sich wehtut.« Larry nickte und versicherte ihr, dass sie alles richtig gemacht hätte und er ihr gleich das Geld geben würde. Damals war mir nicht klar, weshalb sie bei ihm immer so kurz angebunden war, doch später erkannte ich, wie sehr sie sein Verhalten gekränkt und wütend gemacht hatte. Deshalb hatte sie wohl beschlossen, es mit der Rolle der Märtyrerin zu probieren und sich nicht in ihrer Trauer um unsere Mutter zu vergraben.
    Damals wollte ich so gerne zwischen Claire und Larry vermitteln. Wie gerne hätte ich zu meiner Schwester gesagt: »Zumindest versucht er es doch jetzt!« Doch wenn ich jetzt an diese Zeit denke, weiß ich, dass ich einfach nur traurig war, meine Mutter schrecklich vermisste und wollte, dass jemand meinen Schmerz mit mir teilte. Doch Claire wollte alles andere als dieser Jemand sein. Wir waren beide fast am Tod von Mom zerbrochen, aber wir trauerten auf völlig unterschiedliche Weise. Claire hatte noch einen Gang zugelegt und sich damit motiviert, ständig noch effizienter und produktiver zu sein. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie
gehetzt
ich mich durch Claires antiseptische Art gefühlt hatte, wie sie ruck, zuck Moms Sachen zusammengesucht, verschenkt und sich von Mom verabschiedet hatte. Das war ihre Art zu trauern.
    Ich dagegen hatte mich förmlich in meinem Schmerz gesuhlt. Es tröstete mich, durch das dunkle Haus zu schleichen, ihre Schränke zu öffnen und zu schließen und stundenlang auf Dinge wie Moms Lieblingskaffeetasse zu starren. Ich setzte mich auf den Teppich in Moms Schrankzimmer und streichelte ihre Kleider. Ich schlüpfte in ihre Schuhe. Durchsuchte ihre Handtaschen. Der Duft ihrer Sachen brachte sie beinahe zurück zu mir: ein alter Pfefferminzkaugummi, ein kleines Fläschchen Tresor, ein Lippenstift von Lancôme.
    Ich war traurig, und mir war, als hätte ich dieselbe Traurigkeit auch bei Larry gespürt. Ein Teil von mir fühlte wie er, und wir hätten uns gegenseitig stützen können – zwei einsame Seelen, die sich in ihrer Trauer vergruben. Doch jeder von uns dreien versuchte auf seine Weise, mit dem Verlust fertigzuwerden, und der Weg des geringsten Widerstands bedeutete, eigene Wege zu gehen.
    Eines Tages war er vorbeigekommen, um Claire den monatlichen Unterhaltsscheck in die Hand zu drücken. Claire wollte gerade gehen. »Du kannst nicht hierbleiben«, raunzte sie ihn an. »Ich muss in die Vorlesung, und Helen hat heute schulfrei.«
    Er nickte zustimmend, und auch ich wollte mich deshalb nicht mit ihr anlegen. Ich wusste genau, dass Claire es niemals zulassen würde, dass Larry und ich allein, ohne unsere Anstandsdame, der nicht die kleinste Kleinigkeit entgehen würde, beisammensaßen. Er winkte mir zu, während er zu seinem Auto lief. Zehn Minuten später klopfte es an der Tür. Claire war weg, und ich wusste, dass es nur Larry sein konnte. »Möchtest du reden?«, fragte er mich.
    Ich nickte, bat ihn herein und dann saßen wir beide zwei Stunden an unserem Küchentisch, tranken Dr. Peppers und steckten die Köpfe über einem abgegriffenen Fotoalbum zusammen: Claire in einem karierten Kleid mit einem großen weißen Kragen und Zöpfen im Kindergarten und in der Schule. Ich alsBaby, die Finger verschmiert mit Karottenbrei. Mom, die einen Schokoladenkuchen mit Streuseln vor die Kamera hielt. Auf der nächsten Seite Claire auf ihrem Barbie-Fahrrad, dann wieder ein Foto von mir, diesmal hatte ich Moms Schuhe mit den hohen Absätzen an und trug Ohrclips. Fotos von uns, als wir schon etwas älter waren: Claire in ihrem Fußballdress, ich in einer viel zu großen Schürze und einer Kochmütze beim Kochen mit Mom. Auf der nächsten Seite dann Larry, der mit Claire an einem Tisch saß. Er in Anzug und Krawatte, musste also gerade erst von der Arbeit nach Hause gekommen sein. Als Versicherungsvertreter achtete Larry sehr auf korrekte Kleidung: gestärkte Hemden mit französischen Manschetten und frisch polierte hochglänzende Budapester Schuhe. Claire trug blaue Leggings und eine
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