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Todeszeiten (German Edition)

Todeszeiten (German Edition)

Titel: Todeszeiten (German Edition)
Autoren: David Baldacci
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allein sein.
    Er musste nicht nach einer Wegbeschreibung zu dem Cottage fragen. Die Details in dem Brief waren sehr genau. Zwanzig Minuten nachdem er den Bahnhof verlassen hatte, kam er dort an. Auf einem kleinen Grundstück stand ein Häuschen mit verwitterten Schindeln, deren weißer Anstrich abblätterte, und einer lebkuchenförmigen Zierleiste, die in Zartgrün angemalt war; zudem gab es ein kleines Blumenbeet an jeder Seite des zwei Fuß hohen Eingangstores, über das Becker direkt hinwegschritt. Die Blütenpracht war hübsch: Zinnien, Geranien, Rührmichnichtan. Und es gab auch einige Fingerhüte, die Becker wiedererkannte, da er einmal tödliche Mengen an Digitalis aus dieser Pflanze gewonnen hatte, mit der er ein anderes seiner Zielobjekte vor einigen Jahren vergiftete.
    Die Eingangstür war noch nicht einmal verschlossen. Die Angeln waren gut geölt, und sein Eintritt ins Haus verlief geräuschlos. Die Gegend war einsam. Auf seinem Weg hierher war er weder einem anderen Menschen begegnet noch an einem anderen Haus vorbeigekommen. Er hatte eine alte DeSoto-Limousine gesehen, die am Straßenrand parkte, doch niemand hatte drin gesessen.
    Seine Hand glitt in die Tasche, während er sich vorsichtig von vorne nach hinten durch die Räume des Cottages arbeitete. Die Küche und das Zimmer, das in den Fünfzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts wahrscheinlich die gute Stube genannt wurde, waren leer. Auf dem Herd stand ein Topf mit siedendem Wasser, also musste die Frau des Hauses in der Nähe sein. Der Raum war schlicht und enthielt anscheinend keine Luxusartikel, wie Becker feststellte. Er hatte keine Ahnung, wieso eine junge Frau – der Brief hatte ihn darüber informiert, dass sie erst neunzehn war -, die in solch einfachen Verhältnissen lebte, den Zorn seines Klienten auf sich gezogen hatte. Doch sein Job war es nicht, sich Gedanken zu machen, sondern nur zu vollstrecken.
    Es war nur noch ein Zimmer übrig. Als er die Tür öffnete, sah er augenblicklich, dass es sich um das Schlafzimmer handelte. Ein Himmelbett mit billigen Stoffbehängen beherrschte den Raum. Es gab einen Spiegel an der Wand, in dem Becker für einen Augenblick sein Abbild entdeckte. Er erstarrte. Es war das erste und einzige Mal, dass er sich selbst gesehen hatte, wie er im Begriff war zu töten. Sein Gesicht war ruhig, aber seine Augen schienen zu unnatürlicher Größe angeschwollen zu sein, als hätte die Ungeheuerlichkeit der künftigen Tat sie angefüllt – wie heißes Gas, das in einen Ballon geströmt war. Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den Stuhl neben dem Bett. Dort saß die junge Frau und strickte. Er wunderte sich über die Geschicklichkeit ihrer Finger. Doch etwas schien nicht ganz richtig an dem Bild zu sein.
    Er durchquerte das Zimmer und zog das Messer aus seiner Tasche. Sie hatte noch nicht aufgeschaut. Aus irgendeinem Grund wollte er den Job beenden, bevor sie ihn anblicken konnte. Dann zurück in den Zug und dahin zurückfahren, wo er hingehörte. Es war der Spiegel. Sein Spiegelbild hatte ihn irgendwie verunsichert. Ein Schweißtropfen erschien auf seiner Stirn, direkt über seiner linken Augenbraue.
    Sein Wunsch ging nicht in Erfüllung. Sie wandte den Kopf und starrte ihn an. Er mochte es nicht, seinen Opfern ins Gesicht zu schauen. Sein Job verlangte natürlich Nervenstärke und Kühnheit, doch eigentlich war er eher ein Feigling, der es vorzog, von hinten mit einem Regenschirm oder einem Messer zuzustoßen. Und dann wegrennen. So hatte er seinen Vater getötet. Mit einem Hammer den Schädel eingeschlagen, und anschließend war er gerannt, um einen Güterzug zu erreichen – zu einem neuen Leben.
    Ihr Gesichtsausdruck überraschte ihn. Da war ein fremder Mann in ihrem Schlafzimmer, der mit einem Messer auf sie losging, aber sie sah nicht verängstigt aus. Er hob die Klinge. Sein Herz pochte, und mit dem Druck weiteten sich seine Schläfenarterien und zogen sich wieder zusammen. Ihr Mund teilte sich, als wäre sie im Begriff, etwas zu sagen. Aber sie blieb stumm aufgrund dessen, was er als Nächstes tat. Er stieß mit der Klinge zu – einmal tief in die Brust hinein, einmal zur Sicherheit in den Hals.
    Sie sank auf ihrem Stuhl nach hinten, ihre Hände glitten seitlich herab, und die Stricknadeln fielen klappernd auf den Holzboden. Ihre Brust hob sich, und das Blut wurde durch die beiden Wunden förmlich aus ihrem Körper herausgeschüttet. Er sollte fliehen – er wusste das -, doch er hatte das
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