Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
Vom Netzwerk:
waren genauso irritiert wie Brynjar und gingen misstrauisch über die Landungsbrücke auf die Yacht zu.
    »Was ist los?«
    Brynjar tippte dem hintersten Zöllner auf die Schulter.
    »Verdammt nochmal, wie soll ich das denn wissen?« Seine Stimme klang unsicher und passte nicht zu seinen barschen Worten. »Der Kapitän muss besoffen sein. Oder bekifft.«
    Schließlich erreichten sie das Ende der Landungsbrücke, gegen die die Yacht geprallt war. Ihr Bug war nicht mehr geschwungen und glänzend, sondern eingedellt und zerkratzt. Auf die Rufe der Zöllner hatte immer noch niemand geantwortet. Einer von ihnen telefonierte jetzt mit schroffer Stimme mit der Polizei. Dann starrte er auf den mächtigen Bug, der über ihnen aufragte.
    »Wir gehen an Bord. Die Polizei ist unterwegs, aber wir sollten nicht auf sie warten. Die Sache gefällt mir nicht. Hol die Leiter, Stebbi«, befahl er.
    Besagter Stebbi wirkte nicht gerade begeistert, drehte sich aber kommentarlos um und rannte zurück zum Wagen. Unterdessen sagte niemand etwas. Immer wieder riefen sie nach der Besatzung – ohne Erfolg. Brynjar fand es immer unheimlicher, dass ihre Rufe in der Stille verhallten, und war froh, als der Zöllner mit der Leiter zurückkam. Der älteste Zöllner, der vorausgegangen war, kletterte hinauf. Brynjar sollte die Leiter festhalten, und da stand er immer noch, als die drei Männer an Bord verschwunden waren und die Polizei eintraf. Er erklärte den kopfschüttelnden Polizisten, wer er war. Plötzlich lehnte sich ein Zöllner über die Reling und rief aufgeregt:
    »Hier ist kein Mensch an Bord!«
    »Was meinen Sie?«, entgegnete ein Polizist und machte Anstalten, die Leiter hinaufzuklettern. »Das ist doch völlig unmöglich.«
    »Ich sage es doch. Hier ist niemand, keine Menschenseele!«
    Der Polizist blieb auf der vierten Sprosse der Leiter stehen. Er lehnte seinen Oberkörper zurück und schaute dem Zöllner direkt ins Gesicht.
    »Wie kann das sein?«
    »Ich weiß es nicht. Aber hier ist niemand. Die Yacht ist verlassen.«
    Niemand sagte etwas. Brynjar blickte zum Hafen und sah das ältere Ehepaar, das kleine Mädchen und den Mann mit den Krücken am Ende der Landungsbrücke stehen. Verständlicherweise wollten sie nicht auf der anderen Hafenseite warten. Die Polizisten hatten die Leute gar nicht bemerkt und beachteten sie nicht. Brynjar wollte sich um sie kümmern und beschleunigte seinen Schritt, als er sah, dass sie ihm entgegenkamen. Sie hatten nichts bei der Yacht verloren, obwohl ausgerechnet sie von allen Anwesenden am meisten betroffen waren. Aber die Polizei musste in Ruhe ihre Arbeit machen.
    »Nicht näherkommen! Die Brücke könnte einstürzen!«, rief er ihnen zu, obwohl das ziemlich unwahrscheinlich war, aber ihm fiel nichts anderes ein, um sie zurückzuhalten.
    »Was ist passiert? Warum hat der Mann gesagt, es wäre niemand an Bord?« Die Stimme der Frau zitterte. »Natürlich sind sie an Bord! Ægir, Lára und die Zwillinge sind auf dem Schiff. Die müssen nur richtig suchen!«
    »Kommen Sie.« Brynjar wusste nicht, wohin er mit den Leuten gehen sollte, hier konnten sie jedenfalls nicht bleiben. »Das ist bestimmt nur ein Missverständnis, beruhigen Sie sich.« Er überlegte, ob sie alle ins Wächterhäuschen passen würden. Es war eng, aber immerhin hatte er Kaffee. »Sie sind bestimmt alle gesund und munter.«
    Der junge Mann mit den Krücken starrte Brynjar in die Augen. Als er sprach, zitterte seine Stimme nicht weniger als die der alten Frau:
    »Ich hätte an Bord sein sollen.«
    Er schien weitersprechen zu wollen, verstummte aber, als er sah, dass das kleine Mädchen jedes Wort mitverfolgte.
    »Mein Gott«, stöhnte er nur.
    »Kommen Sie.« Brynjar musste dem alten Mann den Arm um die Schultern legen und ihn wegführen. Mit gebrochenen Augen starrte er auf den beschädigten Bug der Yacht, der spöttisch auf die kleine Gruppe hinuntergaffte. »Denken Sie an die Kleine.« Brynjar nickte in Richtung des Enkelkindes. »Es ist nicht gut, wenn sie hier ist, wir sollten sie wegbringen. Das klärt sich hoffentlich alles schnell.«
    Aber es war zu spät, der Schaden war geschehen.
    »Mama tot!« Die helle Kinderstimme war unangenehm klar. Das war das Letzte, was Brynjar und die anderen in diesem Moment hören wollten. »Papa tot!« Und es wurde noch schlimmer. »Adda tot, Bygga tot!« Das Kind seufzte und umschlang das Bein seiner Großmutter. »Alle tot!«
    Dann weinte es leise schluchzend.

1. Kapitel
    Der Monteur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher